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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern
Autoren: Tiffany Baker
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noch größerer Klarheit. Die Sache sah in etwa so aus: Jos Mutter hatte einst in der Hoffnung auf bessere Zeiten einen zweiten Kredit auf die Salzmarsch der Familie aufgenommen. Das wusste Jo, sie zahlte dieses Darlehen ja schon seit Jahren zurück, aber die besseren Zeiten waren leider nie gekommen. Stattdessen sollten sich die Darlehenszinsen zu Jos Erstaunen nun drastisch erhöhen. Würde Jo diese Differenz nicht aufbringen können, mahnte die Bank, dann säße sie bald auf dem Trockenen. Sie solle sich doch einfach einmal bei ihnen melden.
    Tja.
    Den äußerst beeindruckenden Goldlettern des Briefkopfes nach zu urteilen, der alle Filialen die Ostküste rauf und runter aufzählte, war die Harbor Bank nicht wie Prospects bescheidene kleine Plover Bank, in der Jo und die anderen Bewohner der Stadt ihre täglichen Geldgeschäfte erledigten. Das erklärte natürlich auch, warum Jos Mutter die Harbor Bank überhaupt erst aufgesucht hatte, um Geld zu erbitten. Niemand, der die Salt Creek Farm kannte, würde sein hart verdientes Geld in dieses Unternehmen stecken.
    Jo war versucht, zum Telefon zu greifen und ihre Seite der Geschichte zu schildern, dann kamen ihr jedoch Bedenken, und sie ließ den Hörer auf der Gabel. Wer auch immer ihr diesen Brief aus Boston geschickt hatte, ahnte mit Sicherheit nicht, dass der Untergang der Salt Creek Farm auf der engen Landzunge von Cape Cod auch das Ende von Prospect bedeuten würde, da das Schicksal der beiden – Salzmarsch und Stadt – eng miteinander verknüpft war. Keiner wusste mehr so genau, wie oder warum eigentlich, es war einfach immer so gewesen, seit Jos Vorfahren dieses Land als Erste mit Hacke, Spaten und krummem Rücken bearbeitet hatten.
    Jo schob den Brief in der Küche in die Kramschublade, überlegte es sich dann aber noch einmal anders und stopfte ihn in die Mülltonne. Sie nahm an, dass es egal war, was sie mit diesem Brief anstellte. Diese Banktypen würden ihr ja doch wieder schreiben, bis sie eines Tages die Nase vollhaben und direkt die Polizei schicken würden.
    Die Leute in Prospect machten Jo für die seltsamen Launen des Salzes verantwortlich, als ob sie eine Substanz kontrollieren könnte, die selbst entschied, wann sie fest wurde oder sich bei der erstbesten Gelegenheit wieder auflöste. Deshalb war Jo auch nicht gut auf die Menschen in der Stadt zu sprechen, immerhin hatten die sich in ihrer Jugend Jahr für Jahr ganz freiwillig am Vorabend des 1. Dezember der Gnade des Salzes ausgeliefert, und sie musste vortreten und ihr Päckchen ins Feuer werfen, um zu sehen, was die Zukunft brachte. Jo wusste nicht, durch welches wissenschaftliche Prinzip das Salz die Flammen färbte, nur, dass es eben passierte – und zwar ohne ihr Zutun.
    Dabei wünschte sie wirklich, sie könnte die Zukunft beeinflussen. Dann würde sie nämlich die namenlosen Angestellten der Harbor Bank mit einem Zauber belegen, damit sie ihr die Schulden erließen. Aber diese Menschen waren offensichtlich nicht an der wundersamen Alchemie des Gilly-Salzes interessiert. Was sie interessierte, war Arithmetik. Hauptsache, auf ihrer Seite wurden schwarze Zahlen geschrieben, alles andere war nicht weiter wichtig, das wusste Jo. Gegen eine solche Logik kam man nur schwer an.
    Aber diese Leute konnten ja auch nicht sehen, was Jo vor sich hatte, wenn sie auf die Veranda hinaustrat. Ihre Blicke wanderten nicht unwillkürlich zu den Becken hinüber, um zu sehen, ob sich dort schon Kristalle bildeten. Sie wären nicht dazu in der Lage, in den Müllbergen hinter der Scheune kleine Schätze zu entdecken, und sie hätten ganz bestimmt auch nicht Jos Zuversicht, dass ihr ramponierter Pick-up sie nicht im Stich lassen würde. Es stimmte schon, besonders gut sah der Wagen nicht mehr aus, aber er lief noch immer ganz ordentlich. Sie stieg ein und ließ den Motor an. Egal, was die Bank sagte, heute war Liefertag, und sie musste ihre Runde drehen, auch wenn sie damit recht schnell fertig sein würde. Als sie die holperige Straße entlangruckelte, vorbei an der winzigen St.-Agnes-Kapelle, fragte sie sich besorgt, wie viel Zeit ihr hier wohl noch blieb auf dem einzigen Stück Land, das ihr so vertraut war. Ein Monat? Vier? Vielleicht ein ganzes Jahr, wenn sie Glück hatte?
    »Wir würden es bevorzugen, eine für alle Beteiligten angenehme Lösung zu finden«, hatte in dem Schreiben der Bank gestanden. »Setzen Sie sich doch bitte mit uns in Verbindung.« Jo schnaubte und schaltete mit einem Ruck in den
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