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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
Autoren: Christel Mouchard
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kaufen.«
    »Ich fange an, Sympathie für deine Tante zu empfinden. Indochina liegt in Asien, südlich von China.«
    »Und über Indien?«, unterbrach Nina und hob den Finger wie in der Schule, um sich zu melden.
    »Na ja, eher östlich von Indien. ›Indochina‹ ist der Name, den die Franzosen dieser Region gegeben haben. Die Leute von Hué nennen ihr Land Annam. Es wird von einem Kaiser regiert, dem Kaiser von Annam.«
    »Das weiß ich, mein Vater kennt den Kaiser von Annam. Er hat mir davon in seinen Briefen erzählt.« Nina hatte einen stolzen Gesichtsausdruck und erklärte:
    »Mein Vater ist Fotograf.«
    »Für den Kaiser?«
    »Nicht nur. Für alle. Er ist vor drei Jahren fortgegangen. Meine Mutter und ich sollten nachkommen, sobald er reich geworden wäre. Aber jetzt …« Sie fügte etwas leiser hinzu: »… fahre ich ganz allein.«
    Miss Melly nahm Nina bei der Hand und machte ihr ein Zeichen, ihr zu folgen. Um sie herum verteilten sich die Passagiere. Man sah, wie sich der Hafen und die zurückgebliebene Menschenmenge am Kai entfernten. Sie schlängelten sich bis zu einer Metalltreppe, die zum Sonnendeck hinaufführte. Miss Melly ging voraus. Sie hielt die Falten ihres Rocks mit der einen Hand und entblößte ihre Stiefeletten aus hellem Stoff mit schwarzen Knöpfen.
    »Die Kleider der Frauen sind so hübsch, aber lästig«, murmelte Nina. Als sie oben angekommen waren, half sie ihrer neuen Freundin, ihre Kleider wieder in Ordnung zu bringen.
    »Eines Tages wirst du sie wohl auch tragen müssen.«
    »Leihen Sie mir eins?«
    Miss Melly sah schockiert aus.
    »Sicher nicht, du bist zu jung, um ein Korsett und einen langen Rock zu tragen! Du sähest lächerlich darin aus.«
    »Das ist nicht sicher. Schauen Sie doch.«
    Sie streckte ihren Fuß mit den abgetretenen Halbschuhen und den Kniestrümpfen aus grober Wolle nach vorn.
    »Sehen diese Strümpfe bei meiner Größe nicht lächerlich aus? Und außerdem habe ich schon ein bisschen Brust, schauen Sie.«
    Sie bauschte den Oberkörper auf. Miss Melly unterdrückte ein Lächeln und lief auf das Deck, dabei zog sie den kleinen Schleier fester, damit ihr breiter Hut nicht verrutschte.
    »Es ist keine Frage der Oberweite. Um ein junges Mädchen zu sein, muss …«
    »Sie reden wie meine Tante«, unterbrach Nina sie. »Und wie mein Vater. Die Briefe, die er mir schreibt, klingen, als hätte ich mich gar nicht verändert, seit er fortgegangen ist. Im letzten erklärt er mir, dass wir meinen nächsten Geburtstag in Hué feiern werden, und was schreibt er?: ›Deinen
vierzehnten
Geburtstag‹! Stellen Sie sich das vor! Und noch schlimmer, er fragt mich, ob es mir gefallen würde, die Bücher der Gräfin Ségur zu lesen. In meinem Alter!«
    »Aber warum denn nicht? Sogar mit sechsundzwanzig lese ich die Gräfin von Ségur immer wieder.«
    »Ich mag sie nicht, Ihre Gräfin. Sie ist zickig.«
    »Du müsstest sie zumindest lesen, um richtig Französisch sprechen zu lernen. Oder Jules Verne. Magst du Jules Verne?«
    »Ich ziehe meine Comics vor.«
    »Ach ja, ich vergaß. Du bist ja ein ›Faulpelz‹. Du hängst sehr an dieser Rolle, nicht wahr? Glaubst du, dass sie deinem Vater gefallen wird?«
    Innerhalb einer Sekunde hatte Nina ihre Haltung geändert. Sie machte ein ernstes Gesicht und sah sofort wie eine Erwachsene aus.
    »Volltreffer!«, gestand sie, den Blick auf ihre Schuhe gesenkt. »Ich werde mich wohl ändern müssen.«
    »Auf dem Schiff hast du Zeit. Die Reise ist lang. Wir erreichen Indochina erst in einem Monat. Wenn du willst, leihe ich dir die Bücher von Jules Verne aus. Ich habe mehrere in meinem Koffer.«
    »Übertreiben wir es nicht«, brummte Nina. »Zuerst werde ich mal versuchen, mich richtig zu benehmen. Ich muss mich daran gewöhnen, Bedienstete zu haben.«
    »In Hué wirst du Bedienstete haben?«
    »Viele. Mein Vater hat es mir geschrieben. Ich werde sogar eine Dienerin für mich ganz allein haben. Sie heißt Tam.«
    »Dein Vater hat also Erfolg gehabt, wie er es sich wünschte.«
    »Ja, in seinen Briefen hat er mir alles geschrieben: Er hat ein schönes Haus, einen Landsitz, und alle Prinzen von Annam wollen ihn als Privatfotografen haben. Er hat mir Geld von dort geschickt, Piaster, um die Reise zu machen. Er hat mir geschrieben, dass der Zeitpunkt gekommen sei, zu ihm zu fahren, da die Franzosen eine schöne Stadt bauen. Was ich nicht ganz verstehe«, fügte sie nachdenklich hinzu, »warum bauen die Franzosen am anderen Ende der Welt eine
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