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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
Autoren: Christel Mouchard
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schlanke Taille hübsch ist?«
    »Doch, und das Korsett hebt die Brust an wie bei den Frauen in den Modezeitschriften. Ich stelle mir manchmal vor, wie ich auf der Titelseite einer Modezeitschrift abgebildet aussehe.«
    Sie stand auf und durchschritt die fünf Meter der Kabine, schwang ihre Hüften und hielt ihre Zöpfe oben auf dem Kopf zusammen.
    »Da hast du aber noch viel vor dir«, spottete Miss Melly. »Du brauchst mindestens zwei Korsetts, damit du gerade bleibst. Schau, wie du dich hältst!«
    Die junge Frau war inzwischen dabei, einen Rock über ihre Unterröcke zu ziehen – einen langen Rock aus Haspelseide, der über den Hüften eng und unten weit war und dessen geschmeidiger, fließender Stoff sich bei der geringsten Bewegung wellte.
    »Hilf mir, den Gürtel zuzumachen, anstatt mich wie ein seltenes Tier anzuschauen«, sagte sie und drehte sich um, damit Nina die kleinen Haken schließen konnte, die den Rock in der engen Taille im Oberteil hielten.
    »Ihre Kleider sind so hübsch!«, bemerkte Nina mit aufrichtiger Bewunderung. »Sogar Ihr Unterhemd ist bestickt. Ich habe nur Unterhemden aus grobem Stoff, die noch dazu kratzen.«
    »Ich schneide meine Kleider selbst zu und nähe sie auch. So ist es möglich, auch ohne viel Geld zur Verfügung zu haben, nach Belieben mit der Mode zu gehen. Du solltest es lernen.«
    »
›Schau wie du dich hältst!‹; ›Du solltest es lernen.‹
– Sie sind wirklich eine Lehrerin!«
    »Und du ganz schön vorwitzig!«
    »Macht nichts. Sie können mich sowieso nicht ärgern. Für mich ist die Schule zu Ende.«
    »Für mich fängt sie an«, seufzte die junge Frau und knöpfte dabei ihr Oberteil aus feinem Batist in kleinen Falten zu. »Ich werde auf meine ersten Schüler treffen, stell dir vor.«
    »Im Ernst? Ich habe mich nicht geirrt. Sie sind Lehrerin? Ich habe das auf gut Glück gesagt.«
    »Ich bin tatsächlich Lehrerin. Und ich bin auf diesem Schiff, um meine erste Stelle anzutreten.«
    Und mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu: »Wenn sie alle so sind wie du, wird das lustig.«
    »Seien Sie beruhigt, ich war in meiner Klasse eine Ausnahme. Die anderen waren alle scheinheilige Heuchler.«
    »Umso besser! Ich träume von einer Klasse scheinheiliger Heuchler.«
    Sie brachen gemeinsam in Gelächter aus und gaben sich die Hand, um sich vorzustellen.
    »Melanie Bell, Englischlehrerin. Meine Schüler nennen mich Miss Melly.«
    »Antoinette d’Armand, Faulpelz. Alle nennen mich Nina, was mir auch besser gefällt.«
    In diesem Augenblick wurden die Wände der Kabine von einem gewaltigen Lärm erschüttert.
    »Das ist die Abfahrtssirene«, bemerkte Miss Melly. »Das Schiff legt vom Kai ab.«
    »Schnell, kommen Sie!«, rief Nina aus und setzte ihren Hut wieder auf – verkehrt herum. »Schauen wir uns das vom oberen Deck aus an.«
    »Nicht nötig, ich habe niemanden, dem ich Auf Wiedersehen zu sagen hätte. Ich bin Engländerin, und es ist schon zwei Monate her, dass ich meine Familie verlassen habe.«
    Doch Nina zog die junge Frau bereits am Ärmel ihres Oberteils, das sie gerade zu Ende zugeknöpft hatte.
    »Das macht doch nichts!«, stieß sie lachend hervor. »Ich habe auch niemanden. Dann winken wir eben Leuten zum Abschied, die wir gar nicht kennen.«
    Die junge Frau lächelte und folgte Nina, die wie ein junger Hund vor ihr her sprang.
    »Du hast recht. Aber warte, ich kann nicht ohne Hut hinaufgehen, das gehört sich nicht.«
    Sie drehte sich um und nahm eine große Kopfbedeckung aus grauem Sisal vom Regal. Nina konnte sich nicht erinnern, schon einmal einen so großen Hut gesehen zu haben. Dazu gehörte ein nicht enden wollender Schleier, den sie sich so lang um den Kopf wickelte, bis ihr ganzes Gesicht davon umhüllt war.
    Während die Schiffssirene gewaltig weitertrompetete, betrachteten Nina und Miss Melly, die Ellenbogen auf die Reling gestützt, Seite an Seite die Vorbereitungen zur Abfahrt. Der Passagierdampfer hatte die Maschinen angeworfen, die Taue waren losgemacht, und begleitet von wedelnden Händen, Tränen und Lebewohl-Rufen hatte sich der riesige Metallrumpf vom Kai entfernt. Er war schwer und groß, sodass das Wasser um ihn herum aufwirbelte; man hatte den Eindruck, als würde sich ein gewaltiges Tier schütteln, ehe es zum Sprung ansetzte.
    »Auf ins Abenteuer!«, schrie Nina mit einer großen Handbewegung zum Bug des Schiffes.
    Ihre neue Freundin lächelte zärtlich, dann wunderte sie sich plötzlich.
    »Du reist allein? In deinem
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