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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
Autoren: Christel Mouchard
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weiterführende Schule?«
    »Was für ein Dummchen du bist!«, empörte sich Miss Melly. »Du weißt ja wirklich gar nichts.«
    »Auf jeden Fall nicht solche Dinge«, antwortete Nina leicht gekränkt.
    »Vor langer Zeit haben die Franzosen das Reich Annam angegriffen, sie haben den Krieg gewonnen, das Land erobert, und jetzt richten sie eine Kolonie ein. Deshalb werden viele Franzosen dort leben.«
    »Deshalb werde ich dort leben. Eigenartig, oder? Ich, die ich nur meine kleine Stadt in den Pyrenäen kannte, gehe ans andere Ende der Welt, als wäre ich eine Eroberin. Na ja, ich verstehe von all dem nicht viel, aber ich bin glücklich.«
    »… deinen Vater wiederzusehen?«
    »Ja. Und nicht nur das. Ich bin glücklich, das dumme Gesicht meiner Tante nicht mehr sehen zu müssen und ein neues Land kennenzulernen! Es soll dort Tiger und Elefanten geben. Gleichzeitig schnürt sich mir die Kehle zusammen, aber ich weiß nicht warum.«
    Sie waren am Bug des Schiffes angekommen. Dort wurden die Geräusche der Maschinen von den Bugwellen übertönt, die zu beiden Seiten des riesigen Dampfers emporspritzten. Die Sonne stand nun hoch am Himmel. Das Meer war ruhig und von einem fast schwarzen Blau. Die beiden Passagiere kniffen die Augen zusammen, so grell waren die Spiegelungen auf dem Wasser.
    »Ich verstehe dich«, murmelte Miss Melly. »Ich habe auch einen Kloß im Hals. Ich kann noch so sehr Lehrerin sein, ich habe dieselben Empfindungen wie du. Ich bin froh, wegzufahren – und gleichzeitig weiß ich nicht, was mich erwartet.«
    »Alles gerät durcheinander, nicht wahr? So fühlt es sich auch mit meinem Alter an, ich bin gleichzeitig sechzig und zehn Jahre alt. Ich bin gleichzeitig traurig und fröhlich.«
    Miss Melly legte ihre Hände auf Ninas Schultern und zog sie an sich. Wenn nicht der Hut gewesen wäre, hätte Nina sie geküsst. ›Eleganz hat auch Nachteile‹, dachte sie. Statt dessen schwiegen sie beide und ließen ihren Blick über das Meer schweifen.
    Nina dachte an das, was sie erwartete. Das Schiff überquerte das Mittelmeer mit Kurs gen Süden in Richtung des Suez-Kanals. Dann kamen das Rote Meer, der Indische Ozean, das Chinesische Meer, und noch weiter weg war das Land der Tiger und Elefanten. Und ihr Vater.

Die Entscheidung
    »Es ist so weit, Nina, wir müssen langsam Abschied voneinander nehmen.«
    »Sind Sie sicher, dass Sie nicht bis Hué weiterfahren wollen? Sie könnten an der neuen französischen Schule von Hué Englischlehrerin sein!
Meine
Lehrerin.«
    »Du weißt doch, dass es nicht möglich ist, ich habe mich verpflichtet. Vielleicht werde ich dich eines Tages besuchen. Durch die Briefe deines Vaters, die du mich hast lesen lassen, habe ich Lust bekommen, Annam zu sehen. Und ich würde mich freuen, dich wiederzusehen.«
    »Vielleicht habe ich mich bis dahin ja in eine junge Frau verwandelt.«
    »Zu sehr aber bitte nicht. Ich mag dich so, wie du bist.«
    Nina fiel Miss Melly um den Hals und brachte Hut und Spitzenkragen durcheinander.
    »Ich Sie auch! Sie werden mir fehlen.«
    Die junge Engländerin umarmte das Mädchen ein letztes Mal und öffnete die Kabinentür.
    »Und Ihr Reisekoffer?«, fragte Nina und zeigte auf den riesigen Koffer, der neben ihrem stand.
    »Er wird abgeholt und zum Gymnasium gebracht.«
    Auf der Türschwelle blieb Miss Melly noch einmal stehen und betrachtete die Schülerin. Sie sah in diesem Augenblick nicht mehr den Faulpelz, sondern nur ein kleines, hilfloses Mädchen.
    »Kommst du nicht mit, um mir an Deck Auf Wiedersehen zu sagen?«, fragte sie Nina.
    »Nein! Dort oben herrscht eine Bruthitze.«
    Nina wollte es ihrer Freundin nicht sagen, doch sie hatte einen anderen Grund, in ihrer Kabine zu bleiben: Wenn sie hochging und ihr Taschentuch an der Reling schwenkte, würde sie anfangen zu weinen, und sie hatte Angst, lächerlich zu wirken. So gleichgültig, wie es ihr möglich war, warf sie sich mit Jules Verne, den Miss Melly ihr geschenkt hatte, auf das Bett, während die junge Lehrerin leise die Tür hinter sich schloss.
    Nina versuchte sich in
Reise um die Erde in achtzig Tagen
zu versenken, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu den vergangenen Wochen zurück. In der Zeit, die Nina und Miss Melly zusammen verbracht hatten, hatten sich die beiden besser verstanden, als Nina es sich mit einer Erwachsenen je hätte vorstellen können. Sie hatte ihr Vertrauliches über ihr Leben, ihre Mutter, ihre Tante erzählt, was sie niemals auch nur einer ihrer
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