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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
Autoren: Christel Mouchard
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der Prüfung war gekommen.
    Mit klopfendem Herzen öffnete sie die Tür und trat hinaus auf den Kabinengang. Gerade in diesem Augenblick kam ein Paar aus der entgegengesetzten Richtung. Eine dicke Dame mit ihrem dürren Ehemann. Sie hatte sie schon ein oder zwei Mal im Speisesaal erblickt. Nina senkte das Kinn und ging mit klopfendem Herzen weiter.
    Die Dame neigte den Kopf zur Seite und der Herr lüftete feierlich seinen Hut.
    »Mademoiselle …«
    »Madame, Monsieur«, wagte Nina zu sagen und imitierte die hohe Stimme ihrer Tante. »Unerträglich, diese Hitze, nicht wahr?«
    Die Dame nahm den Zwicker, den sie an einer Goldkette um den Hals trug, setzte ihn auf ihre Kartoffelnase und begann, dieses Fräulein mit der eigenartigen Stimme von Kopf bis Fuß zu mustern.
    ›Au wei‹, dachte Nina, ›ich hab’s übertrieben.‹
    Doch das tadellose Kleid und der elegante Hut machten einen guten Eindruck, so schien es. Die Dame lächelte betrübt und stieß einen Seufzer aus.
    »Mein Gott, noch schlimmer als gestern …«, hauchte sie wie eine Sterbende und ging weiter, den Arm unter den ihres Mannes geschoben.
    ›Uff!‹, dachte Nina. Dann wunderte sie sich: Unglaublich! Niemals zuvor hatte ein Mann sie gegrüßt!
    Kurz bevor sie die Tür am Ende des Ganges erreichte, kam ihr eine junge Frau in einem weißen Kleid entgegen. Sie ging mit zögerndem Schritt, als täten ihr die Füße weh. Eine Sekunde lang glaubte sie, eine Unbekannte zu sehen. Dann erst wurde ihr bewusst, dass sie auf eine Glastür zuging und die junge Frau ihr eigenes Spiegelbild war. Aber jetzt war ihr nicht zum Lachen zumute. Zum ersten Mal wurde Nina sich bewusst, dass sie ein anderes Leben begonnen hatte.

Was mache ich hier?
    Die herrschaftliche Zitadelle von Hué – endlich. Nina kniff die Augen unter ihrem Tüllschleier zusammen, um die Festung besser erkennen zu können.
    Sie hatte das Schiff an der Flussmündung verlassen. Nun fuhr sie an Bord eines kleinen Dampfschiffes den Fluss hinauf. Unter dem Lärm alter Kolben glitt das Schiff langsam auf dem ruhigen grünen Wasser dahin, die bis in den Rumpf hinein dröhnten:
Pumpumpumpum
.
    Von der Mitte des Flusses aus konnte man von Hué nur die schwarzen Mauern der Zitadelle sehen, umgeben von Grün, vor dem Hintergrund blauer Berge. Während der Dampfer sich dem Ufer näherte, erschienen hier und da in der Vegetation versunkene Ziegeldächer.
    Darüber erhob sich eine Vielzahl blasser Kegel: die breiten Hüte der Annamiten, wie spitze Muscheln, die auf der Uferböschung ausgestreut worden waren.
    »Das wimmelt von Menschen!«, rief Nina aus.
    Jetzt sah sie deutlich Grüppchen von Fischern vor ihren Netzen sitzen, die sie reparierten, andere vor Marktständen, mit Stapeln von Fischen beladen. Wieder andere lenkten sonderbare, ganz runde Boote, die großen Körben ähnelten. Merkwürdige Gestalten kamen vorbei, deren Schultern sich unter einem langen Stab bogen, an dessen beiden Enden jeweils ein flacher Korb hing. Diese Träger gingen mit einem seltsam gleitenden Schritt barfuß dahin, der gut zu der geschmeidigen Bewegung des Stabs passte.
    Doch Nina hatte keine Zeit, bei diesem Schauspiel zu verweilen. Lange und schmale Boote näherten sich dem Dampfer.
    »Sie müssen mit dem Sampan an das Ufer setzen, Mademoiselle. Das Schiff kann hier nicht anlegen.«
    Der annamitische Matrose verneigte sich und zeigte auf die kleine Leiter, die zum Sampan hinunterführte.
    »Und mein Koffer?«
    »Wir werden ihn nach Ihnen hinunterbringen«, fügte der Mann hinzu und verneigte sich zwei Mal sehr tief.
    Nina wunderte sich. Warum sprach dieser Matrose zu ihr, als wäre sie die Kaiserin von Russland? Dann erinnerte sie sich: ›Wie dumm bin ich! Ich bin einundzwanzig, nicht fünfzehn Jahre alt.‹
    Sie würde wohl noch ein bisschen Zeit brauchen, bis sie das Mädchen mit den Zöpfen vergessen hätte, das sie bei der Abreise aus Frankreich gewesen war. Von jetzt an hieß es, sich in jeder Sekunde wie eine junge Frau zu verhalten.
    Sie streckte den Nacken, lächelte säuerlich und kramte in ihrem Handtäschchen. Sie holte ein Geldstück heraus und ließ es in die Hand des Matrosen gleiten, ehe sie mit einer vornehmen Bewegung auf die Leiter zuging – wenigstens glaubte sie sich vornehm. Doch die schmalen Absätze ihrer Stiefeletten erschwerten ihr die Aufgabe, vor allem als es darum ging, sich entlang des Schiffsrumpfes an den Sprossen der Strickleiter festzuhalten. Beinahe wäre sie gestürzt, als sich die Falten
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