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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
Autoren: Christel Mouchard
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ihres Kleides zwischen ihren Beinen verfingen; sie fing sich wieder und landete schließlich mit schief sitzendem Hut und Unterröcken, die irgendwo in den Strumpfbändern eingeklemmt waren, in dem kleinen Segelboot, das der Mann »Sampan« genannt hatte. Unter anderen Umständen wäre sie in Lachen ausgebrochen, doch sie spürte, dass eine junge Dame sich nicht darüber amüsieren durfte, dass ihre Waden allen Blicken ausgesetzt waren. Daher lächelte sie weiter säuerlich, während sie ihr Kleid, so gut es ging, wieder in Ordnung brachte. Zum Glück war kein anderer Europäer in der Nähe, beruhigte sie sich. Alle waren auf dem Passagierdampfer unterwegs nach Tonkin geblieben. Bald darauf wurde der Reisekoffer ebenfalls heruntergelassen, und der Sampan, gelenkt von einem Annamiten mit kegelförmigem Hut, erreichte den Hafen.
    Die Stadt Hué wurde immer größer, je näher sie kam, und jetzt konnte man erkennen, dass die Zitadelle von zahlreichen Gebäuden umgeben war. Zwischen dem dichten Grün konnte sie jetzt tiefe Schneisen sehen – sicher die Straßen. Auf der anderen Seite des
Flusses der Düfte
sah man Gerüste, Kräne, einen ganzeen Stadtteil im Bau, den hier und da blau-weiß-rote Fahnen überragten. ›Das französische Viertel‹, erriet Nina.
    Vor der Zitadelle schienen die Häuser allerdings sehr alt zu sein und waren mit Spuren von Feuchtigkeit und grünem Moos überzogen.
    Nina fuhr zusammen. Der Sampan kam am Ufer zum Halten. Sie erhob sich, ging einen Schritt auf den Rand des Kahns zu und schaute ihr weißes Kleid und ihre Stiefeletten aus Leinen an. Zwischen dem Boot und dem Ufer befand sich nur grauer Schlick voller Unrat. Nina betrachtete den Boden mit Ekel, als sie plötzlich spürte, dass sie hochgehoben und fortgetragen wurde.
    »Aber was tun Sie denn da? Lassen Sie mich los!«
    Ohne zu antworten, ging der Mann vom Sampan weiter. Er trug das französische Fräulein auf den Armen und bewegte sich barfuß im Schlamm in Richtung Ufer. Nina begriff, dass es wohl besser sei, es einfach geschehen zu lassen. Ohne Schaden erreichte sie den Weg und kramte wieder in ihrem Handtäschchen, auf der Suche nach einem Geldstück für den Mann, der mit ausgestreckter Hand vor ihr stand.
    Nachdem der Reisekoffer neben ihr abgestellt wurde, konnte sie endlich dem Land einen ausführlichen Blick widmen, das von nun an ihre neue Heimat sein würde.
    Die grüne Ruhe des Flusses hatte einer hektischen Betriebsamkeit Platz gemacht. Nichts war vertraut, alles war fremd. Auf dem schlammigen und von ekelerregenden Abflussrinnen durchzogenen Boden standen Körbe voller grüner, wie Schlangen glänzender Algen aufgereiht. Männer rannten in alle Richtungen und zogen komische Handkarren mit einem Verdeck hinter sich her. Nah am Schlick auf dem Boden öffnete ein Kind mit schnellem Schnitt den Bauch großer Fische mit einem Schnurrbart, aus denen zähflüssige Dinge herauskamen. Von überall her ertönten Schreie, die Nina an das Miauen von Hunderten von Katzen erinnerte. Es roch nach Fäule, Fisch, Kot und Schlamm. Die Sonne war hinter den weißen Wolken kaum zu erahnen, der ganze Himmel aber verströmte ein blendendes Licht.
    In Ninas Kopf drehte es sich und ihr war schlecht. Die Haut war von einem feuchten Film bedeckt, als wäre die Luft voller Wasser.
    Angst schnürte ihr die Kehle zu. Was sollte sie tun? Sie verstand nicht, was die Leute um sie her redeten. Niemand kümmerte sich um sie und sie sah nicht einmal die Gesichter unter den großen kegelförmigen Hüten. Alles sagte ihr: ›Geh wieder zurück! Was tust du hier? Du gehörst nicht hierher. Hier will dich niemand.‹
    Dann erinnerte sie sich: Sie hatte kein Zuhause mehr. Ihr einziges Zuhause befand sich irgendwo in dieser Stadt, in dem Haus ihres Vaters.
    ›Es ist zwecklos, sich weiter zu bejammern‹, dachte Nina. Sie ging zu dem Kind, das den Bauch der Fische öffnete, und machte einen Versuch.
    »Entschuldigung … ich möchte …«
    Das Kind hob den Kopf, sodass das Gesicht unter dem Hut zu sehen war. Doch es war kein Kind, es war eine alte Frau mit ganz runzliger Haut.
    ›Mein Gott, sie ist nicht größer als ein achtjähriges Kind!‹, dachte Nina, ehe sie es noch einmal versuchte.
    »Entschuldigung, ich suche …«
    Die alte Frau stürzte sich in eine unverständliche Antwort voller »gn« und »hu«, dann lächelte sie breit. Nina riss die Augen auf: Alle ihre Zähne waren rot und schwarz, wie mit Farbstoff beschichtet. »Ich … ich … suchen
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