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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen
Autoren: Claire Holden Rothman
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Lachen. Der Corporal konzentrierte sich auf sein Essen, doch jedes Mal, wenn er das Lachen hörte, blickte er lächelnd auf.
    Draußen frischte der Wind auf; er drückte gegen die Bullaugen und ließ das Tafelsilber klirren. Er war noch nicht stark genug, um uns ins Schwanken zu bringen, aber der Wein in unseren Gläsern schwappte ab und zu. »Keine Sorge«, sagte der Corporal. »Wir werden schönes Wetter haben.«
    Ich erzählte ihnen, wie schrecklich meine Hinreise im Dezember gewesen war und dass ich nicht glaubte, so etwas noch einmal überstehen zu können. Der Corporal wollte wissen, was mich veranlasst habe, mitten im Winter zu reisen, so kurz nach Kriegsende.
    »Ein kranker Freund«, erklärte ich. Das war nicht ganz gelogen. Sir Williams Gesundheitszustand hatte meine Abreise ja schließlich beschleunigt.
    »Ein Soldat?«, fragte der Corporal.
    Ich wollte eigentlich nicht über mich sprechen. Ich sehnte mich nach Anonymität, und es schien mir nicht ratsam, Fremde zu nahe an mich heranzulassen, doch der Wein hatte mich gewärmt und zugänglich gemacht. Es war sicher nicht schlimm, wenn ich Howlett erwähnte.
    Der Corporal sah mich plötzlich interessiert an. »Howlett?«, wiederholte er. »Sie meinen den Howlett? Den Arzt aus Oxford?«
    Die Schwestern starrten mich ebenfalls an. »Wir kennen ihn auch«, sagte die Blonde. »Er ist montags immer ins Krankenhaus gekommen.«
    »Wir waren auf der Beerdigung«, fügte die Dunkelhaarige hinzu.
    Jetzt starrte ich sie an. Die Nachricht verschlug mir die Sprache.
    »Ich auch«, sagte der Corporal. Er ging so in dem Thema auf, dass er mein Schweigen nicht bemerkte. »Er war bei meiner Amputation dabei. Er hat sich um die Kanadier gekümmert.«
    »Wie merkwürdig, dass wir ihn alle kennen!«, sagte Nora. Sie wandte sich an mich. »Worin, sagten Sie, bestand Ihre Ver bindung zu ihm?«
    Ich blickte auf meinen Schoß. Was sollte ich sagen? Ich hätte keine klare Auskunft geben können, selbst wenn ich es gewollt hätte. »Wir sind beide Ärzte«, antwortete ich schließlich.
    »Sie sind Ärztin!«, sagte Nora, und aus ihren Augen leuchtete Bewunderung. Zum Glück bohrte sie nicht weiter nach, was meine Verbindung zu Sir William betraf. Sie schilderte stattdessen die Beerdigung, die offenbar riesig gewesen war. Halb London sei da gewesen und fast ganz Oxford. Sir William habe den Premierminister und über die Jahre auch einen Großteil des Kabinetts behandelt, sodass auch eine ganze Reihe englischer Politiker teilgenommen hätten.
    Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Howlett war tot. Das konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen.
    Der Corporal sprach jetzt über seine Amputation. Ein Drittel seines Bataillons sei gefallen, erzählte er uns ausdruckslos. Ein weiteres Drittel habe Gliedmaßen verloren. Er sprach langsam, als ginge das Aneinanderreihen dieser Gedanken über seine Kräfte. »Manchmal frage ich mich, ob ich im richtigen Drittel gelandet bin.«
    »Ach, Corporal«, sagte Nora freundlich, »solche Reden nutzen doch niemandem etwas. Es gibt kein Zurück, also gehen Sie lieber vorwärts.« Sie verstummte und wurde rot, als ihr bewusst wurde, dass diese Metapher doch etwas unpassend war.
    Ihre dunkelhaarige Schwester sprang ihr bei. »Nora hat recht, Corporal. Es ist ein wundervoller Abend, der erste unserer Reise. Wir haben ausgezeichnet gespeist.« Sie hielt lächelnd inne. »Und getrunken. Das ist doch Grund genug, dankbar zu sein.«
    Ich beobachtete diese kleine Szene wie ein Theaterstück. Die Schwestern hatten recht; ihr Rat war weise. Und dennoch – wie schafften es die Menschen, nach einem so unermesslichen Verlust weiterzuleben?
    Nora erhob ihr Glas. »Ich sage Dank für diesen Abend.« Sie überlegte einen Moment lang. »Beth«, wandte sie sich dann an ihre Schwester, »mir ist gerade aufgefallen, welches Datum wir haben.«
    Die Dunkelhaarige dachte kurz nach, ehe ihr Gesicht aufleuchtete. »Heute ist der zwanzigste Januar!«
    »Sankt Agnes’ Abend«, sagte ich.
    Nora sah mich überrascht an. »Sie wissen das?« Dann fiel ihr wieder ein, wie ich hieß.
    »Kennen Sie das Gedicht?«, fragte Beth.
    Der Corporal schaute uns verdutzt an. Ich sah mich mit Laure und Großmutter in St. Andrews East am Kamin sitzen und aus Englische Gedichte vorlesen.
    Nora erhob sich, fiel jedoch auf ihren Stuhl zurück, weil das Schiff eine plötzliche Bewegung machte. Der Corporal streckte den Arm aus, um sie zu stützen, doch sie lehnte die Hilfe ab und hielt sich beim zweiten
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