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Das Geheimnis der Götter

Das Geheimnis der Götter

Titel: Das Geheimnis der Götter
Autoren: Christian Jacq
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als das Nichts.
    Warum sollte ich es verschweigen? Diese Lehre des Osiris zu betrachten, die so wundervoll auf den Stein übertragen wurde, verändert den Blick und die Sichtweise des Realen. Es gibt ein Dasein vor Abydos und eines nach Abydos, vor dieser Vision und nach dieser Vision. Osiris erhebt sich und richtet sich auf, außerhalb des Todes, in Gestalt eines Pfeilers, des djed. Dieser Begriff bedeutet Stabilität. Von nun an gibt es kein Umherirren und kein Hin-und Herschwanken mehr zwischen dem Vergänglichen und dem Unvergänglichen. Dieser Pfeiler wird zur Achse des Universums, um den herum sich alles organisiert. Das Wort djed beinhaltet auch die Vorstellungen
    »sagen, sprechen, aussprechen«, die Spiritualität des Osiris stellte sich in der Tat nicht als ein unkommunizierbarer Mystizismus dar, ganz im Gegenteil. Erinnern wir uns an den Prolog des Johannesevangeliums, »Im Anfang war das Wort«
    – die Adaption eines ägyptischen Textes. Etwas formulieren –
    durch die Schrift, die Bildhauerei, die Malerei oder irgendein anderes künstlerisches und kunsthandwerkliches Mittel, das imstande ist, das Mysterium zu vermitteln, ohne es zu verraten
    –, drückt das Wesentliche der Zivilisation der Pharaonen und des Abenteuers des Osiris aus. Als Pfeiler ist Osiris die Inkarnation der Wirbelsäule Ägyptens. Laut der wichtigen Feststellung von Alison Roberts (7) sind die Tempel, Monumente, Gräber, Kanäle und Städte sowie alle kleinen und großen Gebäude auf Osiris erbaut. Und die Pyramidentexte offenbaren: »Osiris ist die Pyramide.« Die in den Himmel aufragenden Pyramiden von Giseh, Dahschur oder Meidun zu betrachten, bedeutet also, Osiris in seiner baukünstlerischen Gestalt zu sehen, die laut eines Ausspruchs von Chateaubriand
    »dem Zahn der Zeit standgehalten hat«. Diese Steinriesen, die mit einer unerreichbaren und unübertroffenen Kunstfertigkeit errichtet wurden, sind gewiss kein Produkt der Eitelkeit von Despoten, sondern der Schöpfungsakt des Pharaos und seines Volkes, die mit äußerster Kraft ihren Sieg über den Tod bezeugen wollten.
    Im Herzen des Tempels von Abydos, jedes Zeichen, jedes Basrelief aufmerksam betrachtend, verloren in dieser unendlichen Weite, vergaß ich die Stunden. Löscht Osiris nicht die Zeit aus? Der Tag war vergangen, und als ich wieder auf den Vorplatz trat, ging die Sonne unter.
    Die Sonne, Ra, dessen Name aus zwei Silben besteht: R, der Mund, ein Ausdruck für das Wort, A, der ausgestreckte Arm, Symbol des Handelns. Ra, das handelnde Wort, eine fundamentale schöpferische Kraft. Auch er führt mich zu Osiris zurück, denn Ra im Himmel, von Licht erstrahlend, ist nicht gänzlich verschieden von Osiris, der in der finsteren Unterwelt ruht. »Ra erfüllt sich in Osiris«, sagt das Totenbuch,
    »er ruht in ihm, das schöpferische Licht strahlt in dem Wiederauferstandenen wider.« Sie sind nicht voneinander zu trennen. Aus Osiris, dem geheimen Licht des regenerierten Lebens, geht jeden Morgen eine neue Sonne hervor. Osiris, der
    »Sitz des Auges«, so lautet eine der Bedeutungen seines Namens, ist der spirituelle Ort, an dem die Sonne sich im Laufe ihrer gefährlichen nächtlichen Reise erneuert, die voll tödlicher Gefahren ist. Ohne Osiris, den Schlüssel jeder Wiedergeburt, würde ein kalter Stern im Osten aufgehen und Verzweiflung säen.
    Schon bald erstrahlte der Vollmond. Wieder Osiris, die Nachtsonne. Der Mond, das Symbol unaufhörlicher Verwandlungen. Der Scheintod, die Wiedergeburt, das Wachstum, die Entfaltung, die Abnahme, das fast vollständige Verschwinden, die Wiederholung des Kreislaufs. Diese Lehre des Osiris ist so alltäglich, so einfach zu entziffern, dass man ihr kaum Aufmerksamkeit schenkt. Bildet der Osiris-Mond, vereint in der wieder aufgehenden Sonnenscheibe, etwa nicht das vollständige Auge, (oudjat), das alle Maße und alle Proportionen enthält?
    Osiris, der Erde und Himmel zugleich ist, begnügt sich nicht mit seinem Wohnsitz im Mond und seiner Verschmelzung mit der Sonne. Er gesellt sich auch zu den Sternen und herrscht über die Unvergänglichen, die Zirkumpolaren, die Beschützer der Achse des Universums.
    Auf dem Sarkophag von Sethos L, Vater von Ramses II. und Erbauer des großen Tempels von Abydos, den wir gerade besichtigen, tritt ein ungewöhnlicher Osiris in Erscheinung: Sein Körper bildet den Kreis des Kosmos, über den er herrscht. Eine jüngst erschienene Studie (8) zeigt die enge Beziehung zwischen dem Tierkreis und Osiris auf.
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