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Das Geheimnis der Götter

Das Geheimnis der Götter

Titel: Das Geheimnis der Götter
Autoren: Christian Jacq
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ereignet, »in dem der Mensch durch den Tod unsterblich wurde« (1).
    Handelt es sich hier etwa nicht um unser zentrales Problem, das heutzutage, in einer Welt, in der der Tod uns solche Angst macht, verschleiert wird? Die gegenwärtigen Riten rund um diesen großen Übergang kommen uns lächerlich vor. Und was die Wiederauferstehung und die Ewigkeit anbelangt – sind sie etwa nicht zu mehr oder weniger folkloristischen Hirngespinsten verkommen?
    Zweifellos ist unsere Zivilisation in jeder Hinsicht führend in Technik und Wissenschaft. Aber ist es nicht so, dass sie in Sachen Spiritualität die Botschaft ihrer Mutter, des Ägyptens der Pharaonen, vergessen hat?
    An diesem Ort wurden jahrtausendelang die Mysterien des Osiris gefeiert. Und mir kam noch eine andere Wissenschaft in den Sinn, nämlich die der Ritualisten, die in das große Geheimnis eingeweiht waren. Sie glaubten nicht an Gott, vielmehr lebten und erfuhren sie ihn. Es gab keine datierte Offenbarung, kein heiliges Buch, dessen Text definitiv und kategorisch wäre, sondern vielmehr Formeln der
    »Verwandlung in Licht«. Leuchtend sein (akh) heißt nützlich sein (akh). Und wenn wir das Licht kennen, erkennt das Licht uns.
    Ist es nicht angebracht, diese Spezialisten des Lebens und des Todes zu befragen, die durch den Mythos und die Lehre des Osiris wesentliche Entdeckungen gemacht haben? So bin ich auch bei der ganzen Romanreihe vorgegangen, mit der ich den Menschen die Wichtigkeit und Aktualität dieser Mysterien wieder ins Gedächtnis rufen wollte.
    In den Pyramidentexten, Quelle der Spiritualität des Alten Ägyptens, steht ein erstaunlicher Satz: »Es ist schlecht für den Menschen, vom Tode fern gehalten zu werden« (2). Tatsächlich gibt es einen guten und einen bösen Tod. Laut einem wundervollen Gedicht ist der gute Tod wie die Genesung von einer Krankheit, wie die Rückkehr in unsere Heimat nach langen Jahren des Exils. Er wird symbolisiert durch den Schönen Westen, eine herrliche Göttin im Herzen des Lebensbaums, und tritt in Erscheinung als »der Hafen desjenigen, der ohne Sünde ist, verkündet der Weise Petosiris. Glücklich, wer dort ankommt. Diesen erreicht nur, wessen Herz immer gewissenhaft die Ma’at getan hat. Hier gibt es keinen Unterschied zwischen arm und reich.« (3) Dieser Tod ist ein Freudentag für unser ka, die Lebens-und die Schöpferkraft, die uns ein reiches Überleben verspricht, nachdem wir von der Hülle und den Grenzen unserer vergänglichen Individualität befreit wurden.
    Aber dieser Prozess erfolgt nicht automatisch, und ein anderer, zerstörerischer Tod lauert uns auf. Vor allem, so warnen uns die Texte, sollten wir nicht »im Reich der Toten ein zweites Mal sterben!« Aus diesem Grund ist die Initiation in die Mysterien des Osiris unumgänglich. Denn Osiris hat alle Formen des Todes erfahren und Isis das Geheimnis der Wiederauferstehung erkannt, formuliert und weitergegeben. Sie bildeten ein exemplarisches Königspaar und lehrten die Menschheit die Künste, die Wissenschaften, die Agrikultur sowie den Respekt vor dem Gesetz der Ma’at, sie schufen die Riten und die Tempelregeln, kurz und gut: Sie verwandelten die Barbarei in eine Zivilisation. Als »Herr der Ganzheit«,
    »Besitzer des Lebens«, war Osiris »der beständige Wohltäter«. Dennoch erregte er die Eifersucht seines Bruders Seth, der ein Komplott gegen ihn schmiedete und beschloss, ihn zu ermorden.
    Hier zeigt sich der Scharfsinn und Realismus des ägyptischen Denkens: Es kann kein großes Werk vollbracht werden, ohne Hass, Neid und Zerstörungswut hervorzurufen. Der Mensch ist nicht von Geburt an gut, er wendet sich ab vom
    Schaffensdrang, der dem Licht des Ursprungs innewohnt, und lässt den Tod in Erscheinung treten. Der Tod des Osiris ist einer der denkbar brutalsten: ein Mord.
    Mit dem Töten war es nicht getan. Osiris musste noch dazu zerstückelt und seine Körperteile mussten verstreut werden. Damit wäre das Geheimnis der Zivilisation und des harmonischen Lebens für alle Zeit verloren gegangen. Damit würden Gewalt, Ungerechtigkeit und das Gesetz des Stärkeren herrschen.
    Doch eine Frau, nämlich Isis, weigert sich, dieses Unglück hinzunehmen. Sie schickt sich nicht in das Unabwendbare, denn sie kennt die Worte der ersten Weisen: Der Tod wurde geboren, also wird er auch sterben. Als konstitutives Element des Weltgefüges hat er keine höchste Autorität. Stand etwa nicht geschrieben, dass die Wesen, die bereits vor der Erschaffung der Welt
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