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Das Geheimnis der Burggräfin - Roman

Das Geheimnis der Burggräfin - Roman

Titel: Das Geheimnis der Burggräfin - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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beherbergte Synagoge und Jeschiwa. Auf der gegenüberliegenden Seite schmiegten sich die Häuser an die Stadtmauer.
    Jehuda ben Eliesar war einer der wohlhabendsten und angesehensten unter den Händlern von Worms. Sein Anwesen stand am Ende der Judengasse. Mochte das Haus auch nicht das größte im Viertel sein, so doch gewiss eines der schönsten mit seinem glänzend neuen Fachwerk. An der Rückfront, von hier nicht einsehbar, schloss sich ein weiträumiger Schuppen an, der teils als Stall und Scheune und teils als Warenlager diente. Hinter dem Haupthaus bog ein schmales Gässchen nach rechts und führte an der Stadtmauer entlang weiter zur Lauergasse. Gegenüber dem Anwesen des Kaufmanns prunkte das Haus des Goldschmieds
mit beeindruckender Größe, die Sarah, sein Weib, nicht müde wurde hervorzuheben.
    Rifkas Blick kehrte zu ihrem Heim zurück, und sie betrachtete die weiß gekalkte Fassade, in dem das dunkle Holz der Trägerbalken in der Sonne wie frisch gehobelt glänzte.
    Ein flüchtiger Gedanke streifte sie, die Erinnerung an einen beunruhigenden Augenblick, der ebenfalls in Zusammenhang mit Jehudas Abreise stand. Was war es nur gewesen?
    Noch einmal rief sie sich jenen Tag ins Gedächtnis.
    Jehuda hatte Esthers Lamentieren mit beneidenswerter Gelassenheit hingenommen, hatte ihr mit einem angestrengten Lächeln übers Haar gestrichen und gemeint, sie würde sich nicht wirklich wünschen, ihren Ehemann statt seiner nach Sachsen zu schicken. Dann hatte er sie umarmt und sie sanft, aber bestimmt zur Seite geschoben, um sich auch von Rifka und seinen Söhnen zu verabschieden. Und dann war er gegangen.
    Tief in Gedanken schüttelte Rifka den Kopf.
    Vor ihrem inneren Auge sah sie den betagten Kaufmann vor sich, wie er sich noch einmal umdrehte.
    ›Er wird den Reisesegen sprechen‹, hatte sie gedacht und gelächelt, weil sie das Gebet sehr mochte:
    ›… Möge es wohlgefällig von dir sein, Ewiger, unser Gott und Gott unserer Väter, uns in Frieden zu geleiten, uns in Frieden dahinschreiten zu lassen, uns zu stützen und zum Ziele unseres Wunsches zu führen, zum Leben, zur Freude und zum Frieden, und lass uns in Frieden in unser Haus zurückkehren …‹
    Doch Jehuda sprach kein Gebet.
    »Er hat mich vermauert, dass ich nicht herauskann, und mich in harte Fesseln gelegt«, zitierte er aus dem Klagelied.

    Überrascht hob Rifka die Brauen und schaute fragend zu ihrem Gatten hinüber. Aber Joschua sah seinen Vater an.
    »Die Liebe des Ewigen, dass sie noch nicht aufgehört, dass noch nicht zu Ende ist sein Erbarmen«, antwortete er ebenfalls mit einem Vers aus dem Klagelied, und die verwegenen braunen Locken in seiner Stirn wollten nicht recht zum Ernst in seiner Stimme passen.
    Jehuda hatte langsam genickt, doch die tiefe Sorge war nicht gewichen, die Rifka in den dunklen, von ungezählten Fältchen umgebenen Augen zu sehen geglaubt hatte.
    Und dann …?
    Dann war plötzlich Beni, der Stallknecht, hinter dem Haus hervorgestolpert, vergebens nach der Mistgabel grapschend, die ihm aus der Hand zu fallen drohte. Es hatte unheimlich komisch ausgesehen, wie der lange Kerl wild mit den Armen ruderte, um den Stiel doch noch zu erwischen, dabei über seine eigenen Füße gestolpert und dann platt auf die Nase gefallen war. Beni war mit dem Schrecken davongekommen, und sein unfreiwilliges Missgeschick hatte für Heiterkeit gesorgt. Die angespannte Stimmung war mit einem Mal verflogen gewesen.
     
    Bis heute hatte Rifka nicht mehr daran gedacht. Weder an Jehudas düsteren Abschiedsgruß noch an den Mann, der an der Ecke gestanden und zugesehen hatte. Doch jetzt erinnerte sie sich an den Blick, den Jehuda seinen Söhnen zugeworfen hatte, als er den Vers aus dem Klagelied sprach.
    Trotz der Hitze lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken.
    Sie hatte Furchtsamkeit gesehen, die sie an Jehuda ben Eliesar nicht kannte.
    Wovor hatte sich Joschuas Vater gefürchtet?
    Als wäre sie festgefroren, starrte Rifka den Franzosen
an, der noch immer an derselben Stelle stand und ihr den Rücken zukehrte. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Redete sie sich hier etwas zusammen, das gar nicht zusammengehörte? Zwei Eigentümlichkeiten, die überhaupt nichts miteinander zu tun hatten?
    Als hätte er Rifkas Blick gespürt, drehte sich der Welsche plötzlich um. Einen Lidschlag lang kreuzten sich ihre Blicke. Ohne eine Regung zu zeigen, glitt sein Blick weiter, und Rifka atmete erleichtert auf.
    Was spann sie nur für unsinnige
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