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Das Geheimnis der Apothekerin

Das Geheimnis der Apothekerin

Titel: Das Geheimnis der Apothekerin
Autoren: Julie Klassen
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Dabei wäre ich beinahe mit einem Mann zusammengeprallt, der aus der Werkstatt des Stellmachers kam.
    »Entschuldigung, Mr Hughes!«, rief ich, ohne meinen Lauf zu verlangsamen.
    Ich sprintete über den Dorfanger, umrundete den Friedhof und lief am Hof von Owens vorbei zu Marlow House hinauf. Dort flitzte ich die Gartenmauer entlang und duckte mich tief, als ich zu dem geschlossenen Gartentor gelangte. Ich hatte schreckliche Angst, doch dann dachte ich an Mary, die sich vor Schmerzen krümmte, und stieß das Tor auf. Ein hohes Quietschen ließ mich zusammenzucken. Ich lief zum Gartenhäuschen, öffnete die Tür und griff nach dem erstbesten Spaten. Dann eilte ich zu dem Pfingstrosenbusch, dessen Blüten hochgebunden waren. Es waren die preisgekrönten Pfingstrosen der verstorbenen Lady Marlow. Ich schluckte, als mir bewusst wurde, dass ich keine Zeit hatte, rücksichtsvoll vorzugehen.
    Als ich den Spaten in die Erde stieß, hörte ich den ersten zornigen Schrei. Ein Mann rief: »Aufhören!«, doch ich stieß den Spaten erneut in den Boden, diesmal noch tiefer. Dabei hörte ich rasche Schritte und Flüche auf der anderen Seite der Mauer – wahrscheinlich Mr Timms, der mürrische Gärtner der Marlows. Nur noch ein paar Sekunden und ich hatte die Wurzeln freigelegt. Ich stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht – zugegeben ein Fliegengewicht – auf den Spaten und grub wie eine Verrückte. Komm schon …
    In dem Augenblick, in dem ich die Pflanze mit der Wurzel herauszog, tauchten der Kopf und die Schultern eines Mannes über der Gartenmauer auf. Es war nicht der mürrische Mr Timms. Es war viel schlimmer.
    »Rühr dich nicht vom Fleck«, befahl der junge Mann. »Die gehören meiner Mutter.«
    Ruhig bleiben … Ich hätte es ihm erklären können, aber ich brachte keinen Ton heraus. Ich wusste, dass Roderick Marlow jedes Frühjahr Pfingstrosen auf das Grab seiner Mutter legte. Und ich wusste auch, dass er unvorstellbar grausam sein konnte.
    »Ich brauche eine …«, stammelte ich schließlich, »für eine Freundin.«
    »Rühr dich nicht von der Stelle! Ich rufe den Konstabler.«
    Ich hatte keine Zeit für Erklärungen und konnte auch nicht auf den Konstabler warten. Also sprintete ich durch den Garten zurück. Wieder hörte ich ihn fluchen. Als ich einen Blick über die Schulter warf, sah ich, wie er über die Gartenmauer sprang. Dann hörte ich seine Schritte. Kiesel spritzten weg, als er mir mit Schritten, die doppelt so lang waren wie die meinen, nachsetzte. Ich hetzte durch das Gartentor und schlug es mit aller Kraft hinter mir zu. Ein zorniger Schmerzensschrei verfolgte mich über die ganze Wiese. Wieder blickte ich mich um; diesmal sah ich, dass ein Stallknecht einen Rappen aus dem Stall führte. Er war bereits gesattelt.
    Nein!
    Das Tor hinter mir öffnete sich quietschend. Roderick Marlow pfiff und rief: »Bring mir das Pferd, schnell!«
    Sofort änderte ich meine Richtung. Ich wusste, dass er mich auf der Straße, auf der ich gekommen war, in wenigen Sekunden eingeholt hätte. Das durfte nicht sein. Also lief ich in den Wald. Äste zerkratzten meine Arme und Beine. Hinter mir hörte ich Pferdegetrappel, während ich mich durch das Unterholz zwängte. Auf der anderen Seite des Wäldchens überquerte ich ein schmales Weidestück. Plötzlich stand ich vor einem Schafzaun. Ich sprang hinüber, strauchelte, fing mich wieder, lief weiter. Pferd und Reiter hinter mir nahmen den Zaun ohne Verzögerung. Mir blieb nur noch ein einziger Ausweg. Vor mir befand sich die hohe Ligusterhecke des Friedhofs. Dahinter lag das Dorf. Mein Verfolger kam näher. Will er mich einfach umreiten?, fragte ich mich entsetzt. Wegen einer Pflanze, die Vater ihm mit Freuden bezahlen wird? Er würde es tun, daran hatte ich keinen Zweifel.
    Ich lief die Hecke entlang. Da war es. Ich blieb abrupt stehen, mit dem Rücken zu der scheinbar undurchdringlichen Ligusterhecke. Roderick Marlow sprang vom Pferd und lief auf mich zu. Seine Augen funkelten vor Zorn. In der Hand hielt er die Reitpeitsche. Ich schluckte, zutiefst dankbar, dass mein langer Mantel den unteren Teil der Hecke verbarg. Warte noch, bis er ein bisschen weiter von seinem Pferd entfernt ist. Noch eine Sekunde …
    Dann drehte ich mich mit einem Ruck um und tauchte in ein Loch in der Hecke, kaum groß genug für ein Kind. Der Hund des Pfarrers hatte es gegraben. Mein Herz drohte stehen zu bleiben, als ich spürte, wie Roderick Marlow versuchte, mich zu packen. Er bekam den Saum meines
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