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Das Geheimlabor

Das Geheimlabor

Titel: Das Geheimlabor
Autoren: Gerritsen Tess
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es sie völlig überraschend. In dem einen Moment gratulierte sie sich, weil sie eine Katastrophe vermieden hatte, und im nächsten Moment starrte sie ungläubig nach vorne.
    Der Mann war aus dem Nichts aufgetaucht. Er kauerte auf der Straße, wie ein Wild von ihren Scheinwerfern gefangen. Ihre Reflexe setzten ein. Sie rammte den Fuß auf die Bremse, doch es war schon zu spät. Dem Kreischen ihrer Reifen folgte der dumpfe Aufprall des Körpers auf ihrer Motorhaube.
    Scheinbar eine Ewigkeit saß sie wie erstarrt da und konnte nichts anderes machen, als das Lenkrad zu umklammern und auf die hinund hergleitenden Scheibenwischer zu starren. Als sie endlich begriff, was tatsächlich passiert war, stieß sie die Tür auf und rannte in den Regen hinaus.
    Zuerst konnte sie durch den Wolkenbruch nichts sehen, nur einen glitzernden Streifen Asphalt, der von dem schwachen Schein ihrer Rücklichter beleuchtet wurde. Wo ist er, dachte sie hektisch. Während Wasser über ihr Gesicht strömte, ging sie zurück und versuchte, mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Dann hörtesie über dem Prasseln des Regens ein leises Stöhnen. Es kam irgendwo von der Seite bei den Bäumen.
    Sie tauchte in die Dunkelheit ein und versank knöcheltief in Schlamm und Tannennadeln. Wieder hörte sie das Stöhnen, jetzt näher, fast in Reichweite.
    „Wo sind Sie?“ schrie sie. „Melden Sie sich!“
    „Hier ...“ Die Antwort war so schwach, dass Cathy sie kaum hörte, aber es reichte aus. Sie drehte sich herum, tat ein paar Schritte und stolperte buchstäblich in der Finsternis über die zusammengesunkene Gestalt. Zuerst bestand er nur aus einem verwirrenden Haufen nasser Kleider, aber sie fand seine Hand und fühlte seinen Puls. Er schlug schnell, aber regelmäßig, wahrscheinlich regelmäßiger als ihr eigener jagender Puls. Seine Finger schlossen sich plötzlich in einem verzweifelten Griff um ihre Handgelenk. Er rollte sich gegen sie und versuchte sich aufzusetzen.
    „Bitte, bewegen Sie sich nicht!“ flehte sie.
    „Kann ... kann nicht hier bleiben ...“
    „Wo sind Sie verletzt?“
    „Keine Zeit. Helfen Sie mir. Schnell ...“
    „Erst, wenn Sie mir sagen, wo Sie verletzt sind!“
    Er packte ihre Schulter und schaffte es zu Cathys Erstaunen, sich halb hochzuziehen. Einen Moment schwankten sie zusammen, dann ließ seine Kraft nach, und sie glitten beide im Schlamm auf die Knie. Sein Atem ging rau und stoßweise. Wenn er innere Verletzungen hatte, könnte er innerhalb von Minuten sterben. Sie musste ihn sofort in ein Krankenhaus bringen, selbst wenn das bedeutete, dass sie ihn zum Wagen zerren musste.
    „Los, versuchen wir es noch einmal“, rief sie, packte seinen linken Arm und schlang ihn sich um den Nacken. Sein schmerzliches Zischen erschreckte sie. Sofort ließ sie ihn los. Sein Arm hinterließ klebrige Wärme auf ihrem Hals.
    Blut!
    „Meine andere Seite ist in Ordnung“, ächzte er. „Versuchen Sie es noch einmal!“
    Sie wechselte auf seine rechte Seite und zog seinen Arm über ihren Nacken. Sie schwankten wie betrunken, aber endlich stand er aufrecht. Cathy fragte sich, ob er die Kraft hatte, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie würde ihn ganz sicher nicht von der Stelle bekommen. Auch wenn er schlank war, so war er doch wesentlich größer, als sie erwartet hatte, zu groß, um von ihren einsfünfundsechzig gestützt zu werden.
    Aber irgendetwas schien ihn anzutreiben, irgendeine verborgene Reserve. Selbst durch die nassen Kleider hindurch fühlte sie die Hitze seines Körpers. Ein Dutzend Fragen entstanden in ihrem Kopf, doch ihr fehlte der Atem, um sie auszusprechen. Sie musste sich vollständig darauf konzentrieren, ihn zu dem Wagen und dann in ein Krankenhaus zu schaffen.
    Während sie ihn um die Taille festhielt, krallte sie ihre Finger um seinen Gürtel. Schmerzhaft kämpften sie sich Schritt um Schritt zur Straße voran. Sein Arm spannte sich hart um ihren Hals. Alles an ihm wirkte angespannt. Verzweiflung schien ihn anzutreiben. Seine Panik übertrug sich auf Cathy, steckte sie mit seinem Drang zu fliehen an. Nach jedem Meter musste sie stehen bleiben und ihr triefnasses Haar zurückstreichen, nur um zu erkennen, wohin sie gingen. Und rings um sie herum versperrten Regen und Dunkelheit jegliche Sicht auf mögliche lauernde Gefahren.
    Die Rücklichter ihres Wagens leuchteten vor ihnen wie rubinrote Augen in der Nacht. Mit jedem Schritt wurde der Mann schwerer, und ihre Knie wurden so weich, dass sie
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