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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind
Autoren: Thomas Kastura
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sich auf. »Der Schlüssel lag unter dem Querbalken über dem Eingang. Wir haben den Holzboden in der Hütte genau untersucht, die Staubschicht. Unwahrscheinlich, dass der Tote oder irgendjemand sonst in letzter Zeit da drin gewesen ist.«
    »Das heißt, er hielt sich nur im Freien auf.« Photini ließ ihren Blick über die Hecke gleiten, die das Grundstück nach allen Seiten begrenzte. »Vielleicht war er fremd hier.«
    »Es waren nur fünf Grad in der vergangenen Nacht«, meinte Effie.
    »Da ist in einer Kleingartenanlage wenig los.« Raupach betrat die gemauerte Terrasse. Überall Kletterpflanzen, Clematis, Knöterich, blickdicht. »Schwer, Zeugen zu finden.«
    »Kommt drauf an.« Photini folgte ihm. »Es gibt solche und solche Schrebergärten. Manche sind wie kleine Siedlungen. In denen ist das ganze Jahr über was los. Andere sind so ruhig wie ein Elefantenfriedhof.«
    »Wie diese hier?«
    »Die Anlage ist klein, winzig im Vergleich zu der Kleingartenkolonie in Bilderstöckchen, an der jogge ich jeden Morgen vorbei. Außerdem liegt sie mitten in einem Wohngebiet.« Sie schaute zu den umstehenden Häuserzeilen hoch, auf die Rückseiten vier- bis fünfgeschossiger Gebäude. Ein paar Schaulustige bevölkerten die Balkone. »Von da oben hat man eine gute Sicht.«
    »In der Nacht?« Raupach würde Befragungsteams losschicken. Aber er bezweifelte, ob etwas dabei herauskam. »Ist das so ein Fall, bei dem jeder den Kopf einzieht und die Klappe hält?« Er stellte die Frage so laut, dass es hellhörige Nachbarn mitkriegen mussten. »Weil ein brutaler Mord den Landfrieden stört?«
    Kein Geräusch. Der Landfrieden hielt.
    Im Inneren des Gartenhäuschens standen grobe Möbel aus dunkelbraunem Holz, selbstgezimmert. Die Feuerstelle in der Mitte des Raumes besaß eine gusseiserne Vorrichtung für einen Kessel oder einen Spieß. An den Wänden Teppiche mit großflächigen geometrischen Mustern, ungewöhnlich für Köln-Niehl. Raupach dachte an seinen Sommerurlaub in den schottischen Highlands. Die Lodges für Wanderer und Hillwalker waren ähnlich eingerichtet.
    Sie gingen wieder nach draußen. Neben der Terrasse befand sich eine Überdachung für Gartenwerkzeug. Rechen, Harken, Astschneider. Kein Spaten dabei.
    Photini warf einen Blick auf ihr Handy. Niesken hatte ihr aus dem Präsidium eine SMS geschickt. »Das Häuschen gehört Leuten namens Plavotic.«
    »Klingt nach Jugoslawen«, sagte Raupach.
    »Das kann ja heiter werden.«
    »Feindschaften unter den Balkanvölkern?« Wenn er auf ihre griechische Herkunft anspielte, ging sie immer sofort an die Decke.
    »Auf dem Balkan trägt man bessere Anzüge als das da.« Sie zupfte an dem Ärmel seines Jacketts. »Ich kenne einen Schneider in Athen. Bei hoffnungslosen Fällen macht er Hausbesuche.«
     
    DER NORDPARK grenzte direkt an die Kleingärten. Die Grünanlage schien aus reinem Zufall zwischen Nippes, Niehl und Riehl erhalten geblieben zu sein, als habe keines der Stadtviertel gesteigerten Wert auf die Baufläche gelegt. Wege, Rasen, Parkbänke, mehr war da nicht.
    Der Pavillon, unter dem Höttges mit der Zeugin wartete, glich einem vergammelten Pilz. Der Stiel war mit Graffiti beschmiert, auf dem Schirm wucherte eine dicke grünbraune Moosschicht. In der Mitte des Daches ragte ein Blitzableiter empor. Irgendein Witzbold hatte einen alten Fahrradschlauch hochgeschleudert, wie bei einer Kirmesbude, an der man Ringe über allerlei Billigartikel wirft, die die Bezeichnung »Preise« nicht wirklich verdient haben.
    Frau Leins schloss den kräftigen jungen Kommissarsanwärter gleich ins Herz. Er erinnerte sie an ihren Enkel, der auch an keiner Currywurst vorbeigehen konnte, mit dem Unterschied, dass Höttges ein besserer Zuhörer war.
    Inzwischen kannte er ihre Lebensgeschichte bis ins kleinste Detail. Das getrübte Verhältnis zu ihrem verstorbenen Ehemann. Dass er seine Dahlien über alles liebte, wunderschöne Blumen in prachtvollen, seltenen Farben. Und dass er Gift ausgelegt hatte, um Hunde und Katzen von seinem Garten fernzuhalten. Wie ihr Ruheständlerleben darüber zerbrochen war.
    Ein Mord hatte manchmal diesen Effekt: die Leute enthüllten Dinge, über die sie nicht einmal mit ihren nächsten Angehörigen sprachen. Der Tod brachte immer neue Geschichten über den Tod hervor. Es war, als stünde der Alltag unvermittelt still. Ein Rachen öffnet sich in der Zeit, ein schmatzender Schlund, und Erlebnisse und Erfahrungen steigen empor aus dem Moor der Vergangenheiten, das
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