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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind
Autoren: Thomas Kastura
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klingelte. »Eine Leiche in der Kleingartenanlage am Nordpark«, gab Photini durch. »Männlich, etwa in deinem Alter.«
    »Bin schon unterwegs.« Er bedeutete Heide, dass die Pflicht rief. Perfektes Timing.
    »Es ist dein freier Tag«, sagte Photini. »Soll ich mich drum kümmern?«
    »Das liegt quasi vor meiner Haustür, Nippes, fast schon Niehl. Fahren wir beide hin.«
    »Wie du meinst, Partner.«
     
    PHOTINI VERALBERTE IHN seit kurzem mit Formulierungen aus amerikanischen Polizeiserien. »Partner« war bewusst doppeldeutig. Vor ein paar Wochen hatte sie im richtigen Leben einen Partner gefunden. In der Mordkommission wusste es jeder, aber noch niemand hatte ihren neuen Freund zu Gesicht bekommen, und Photini hüllte sich in Schweigen. Er hieß Patrick, wie ihr bei einem Telefonat herausgerutscht war, mehr war nicht bekannt.
    »Nordpark«, sagte Raupach, als sie im Auto saßen. »Zwischen Kretzer und Kevelaerer Straße.«
    »Die Schrebergärten?« Heide rammte den ersten Gang ins Getriebe und schoss aus der Parklücke.
    »Genau.«
    »Tolle Gegend.«
    »Sarkasmus steht dir nicht. Ein Häuschen mit ein wenig Grün dabei, was ist dagegen einzuwenden? Nicht jeder kann sich eine Villa leisten.«
    »Meine Sache wär’s jedenfalls nicht. Zu viel Natur.«
    Raupach wechselte das Thema. »Die richtige Kleidung zu finden ist schwer.«
    »War nicht zu übersehen. Ich liebe es, Schwächen an dir zu entdecken.«
    »So?«
    »Du musst diese Typen rumkommandieren. Sonst drehen sie dir irgendeinen teuren Müll an und behaupten, du würdest darin eine bella figura machen.« Heide nahm ihre Funktion als Raupachs Modeberaterin sehr ernst.
    »Warum kaufst du den Anzug nicht ohne mich?«, schlug Raupach vor. »Du kennst meine Größe. Nimm zwei oder drei zur Auswahl mit. Wenn einer halbwegs passt, trägt er sich schon ein.«
    »Wir sind kein altes Ehepaar, Klemens.«
    »Nicht?«
    Sie blickte ihn verwundert an. »Wir waren uns einig, dass es nicht klappt.«
    »Stimmt. Vor zwölf Jahren. Oder waren es dreizehn?«
    »Höre ich da spätes Bedauern?«
    »Wäre das nicht praktisch?« Raupach malte sich hin und wieder ein anderes Leben aus. Allerdings war das wie beim Anzugprobieren: Es gab verwirrend viele Alternativen. »Wir könnten so tun, als hätten wir die schwierigste Zeit schon hinter uns«, begann er. »All die Krisen der ersten Jahre. Das Nachlassen der Verliebtheit. Der Horror der beginnenden Routine. Ein paar Seitensprünge fürs Selbstwertgefühl, zur Beruhigung, dass man nichts verpasst hat, und die daraus resultierenden Dramen. Das hätten wir alles schon abgehakt.«
    »Es würde vieles vereinfachen …«, sinnierte sie. Nach zwei gescheiterten Ehen wusste sie, wovon sie sprach. Raupach hatte erst eine hinter sich. Anfänger.
    »Wir bräuchten nicht mal zusammenziehen«, fuhr er fort. »Viele Paare in unserem Alter machen das so. Jeder behält seinen kleinen Alltag, keiner muss sich umstellen. Seife, Haarbürste, Zahnpastatube, alles bleibt am Platz. Und soweit ich weiß, brächte uns das steuerliche Vorteile.«
    »Charmant.« Heide fletschte die Zähne zu einem Raubtierlächeln. »Gibt’s einen besonderen Grund für diese stürmische Liebeserklärung?«
    Es gab einen Grund, doch den wollte er ihr nicht verraten. Nicht jetzt. »Der Anzug«, sagte er schließlich. »Gemeinsam Kleidung kaufen. Ich finde das ziemlich intim.«
    »Sollen wir mal zusammen zu Ikea fahren?«
    »Heute Morgen gehst du aber ganz schön ran. Ikea …, wenn das kein eindeutiges Angebot ist.«
    »Du hast angefangen.«
    »Und was sollen wir dort kaufen?«, fragte Raupach. »Wir haben doch alles, was wir brauchen.«
    »Wie wär’s mit einem richtigen Bett? Deine alte Schlafcouch bricht bald zusammen. Für eine Beziehung, selbst für eine sporadische, ist das Ding nicht ausgelegt.«
    »Dann behalte ich es lieber.« Er lachte, ein bisschen zu laut. Heide war der einzige Mensch, mit dem er ungezwungen und mit der richtigen Dosis Ironie über solche Themen reden konnte. Ausnahmsweise wollte sie nicht das letzte Wort haben.
    Auf der Neusser Straße bogen sie nach rechts ab, Blücherstraße, Leipziger Platz. Ein Karree gepflegter, unnahbarer Altbauten blickte auf eine Grünanlage mit Spielplatz herab. Die Blätter der Bäume leuchteten in der Vormittagssonne, rot und gelb, bronzefarben und golden. Der Wind spielte mit den Wipfeln.
    Der Herbst war Raupachs Lieblingsjahreszeit. Er mochte es, die Stadt dabei zu ertappen, wenn sie sich von ihren schönen Seiten
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