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Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind
Autoren: Thomas Kastura
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klingelte. Otto unterbrach das Spiel und ging ran. Er meldete sich. Hörte eine Weile zu, schwieg.
    Sein Gesicht veränderte sich. Er bekam Falten auf der Stirn, seine Augen wurden größer, erst vor Überraschung, dann, weil er sich wunderte und wohl nicht glauben konnte, was er da hörte. Er sagte nur ja, ja, plötzlich ein entschiedenes Nein! Anscheinend war es ein wichtiges Gespräch.
    »Entschuldige«, sagte Otto schließlich und stand auf. »Bin gleich wieder da.«
    Bauer Nummer 3 ging zur Käseabteilung. Der Preis für Camembert war reduziert. Es gab sehr viele Käsesorten. Man konnte sich nicht entscheiden.
    Otto stand in der Küche. Er redete eindringlich ins Telefon. Einen ähnlichen Ton schlug er an, wenn sein Kollege wieder mal das Bad überschwemmt hatte. Diesmal klang es besorgter, anders als bei verschüttetem Wasser, das konnte man einfach aufwischen und dann war es wieder gut.
    »Ich weiß, wo das ist«, sagte Otto. »Ja, ich komme hin. Sagen wir, in zwei Stunden.« Er machte eine Pause. »Keine Dummheiten!«
    Bauer Nummer 3 entschied sich für Camembert. Otto war noch in der Küche und sagte nichts mehr. Die Kühlschranktür wurde geöffnet. Ein Glas wurde auf die Arbeitsfläche gestellt, und eine Flasche. Der Schraubverschluss klackerte bei jeder Umdrehung.
    Bestimmt die Flasche mit dem Zeug, das auf der Zunge wie Feuer brannte. Otto trank es oft. Danach roch er widerlich. Wenn er viel davon getrunken hatte, brachte er die Worte durcheinander.
    Dann war das Geräusch eines Schlüssels zu hören, an der Wohnungstür. Mama kam nach Hause. Sie hatte wieder Frauen geholfen, Babys zur Welt zu bringen.
    Sie begrüßte Nicolas mit einem Handkuss. Das machten sie immer so. Er mochte es nicht, von jemand berührt zu werden. Wozu sollte es gut sein, sich gegenseitig anzufassen? Dabei wurden nur Krankheiten übertragen.
    Sie ging in die Küche. Es dauerte nicht lange, und Mama und Otto stritten sich. Wegen Alkohol, dem Zeug aus den Flaschen.
    Nicolas hielt sich die Ohren zu. Wenn Otto und Mama sich anschrien, wusste er nicht, was als Nächstes passierte. Das war schwer zu ertragen. Eigentlich mochten sich die beiden, sie schliefen sogar im selben Bett. Manchmal.
    Früher hatte Mama mit Papa im selben Bett geschlafen, aber das war lange her. Jetzt mochte Mama Otto lieber als Papa.
    Eine Tür ging auf. Thorbens Zimmer am Ende des Ganges. Thorben war sein Bruder. Er konnte Otto nicht leiden. Schade, dass sich die beiden nicht vertrugen.
    »Na, wieder getankt?«, fragte Thorben.
    »Nur einen Kurzen«, sagte Otto.
    »Einen ziemlich Langen, möchte ich wetten.«
    »Das geht dich nichts an.«
    »Musst du hier in der Wohnung trinken?«, fragte Thorben. »Vor Nico?«
    Thorben stellte Otto immer nur Fragen. Anders verständigten sich die zwei nicht. Nico war eine Abkürzung für Nicolas. Besser als Nikki.
    »Kannst du nicht auf die Straße runtergehen?« Thorben ließ nicht locker.
    »Bin ja schon weg.« Otto steckte die Schnapsflasche in seine Jacke. »Tschüss, Kollege. Halt die Ohren steif, ja?«
    Das sagte er immer zum Abschied.
    »Ich versuch’s.« Nicolas nahm den weißen Springer vom Brett.
    Otto winkte und öffnete die Haustür. Nicolas wurde es kalt an den Füßen. Er zog die Beine an. Dann fiel die Tür ins Schloss.
    »Alles okay?«, fragte Thorben.
    »Unser Spiel. Wir sind nicht fertig geworden.«
    »Machst du allein weiter?«
    »Keine Lust.«
    »Wie war’s in der Schule? Habt ihr nicht eine Probe geschrieben?«
    »In Mathe.« Nicolas lächelte. »Der Satz des Pythagoras und wie man ihn umkehrt. Man muss nur …«
    »Bist du fertig geworden?«
    »Fast. Das meiste hab ich.«
    »Nur Streber kommen auf die volle Punktzahl.« Thorben ging zur Garderobe und nahm seine Jacke vom Haken. »Ich muss noch mal los, Nico. Viel zu tun heute.«
    »Rettest du wieder Leute?«
    »Wir besprechen die Dienstpläne der nächsten Wochen. Kommst du ohne mich klar?«
    »Mama ist ja da.«
    »Mach ihr keinen Kummer.«
    Thorben kramte nach seinen Schlüsseln. Dann war er draußen.
    Nicolas schlich sich zur Küchentür und spähte vorsichtig um die Ecke.
    Mama stand am offenen Fenster und rauchte. Es war ihr Lieblingsplatz, der einzige Ort in der Wohnung, an dem sie für kurze Zeit allein sein konnte.
    Er baute das Schachspiel ab und ging auf sein Zimmer. Dort stand seine Playmobil-Ritterburg. Die war ganz anders als Schach, primitiver. Da mussten Ritter ihre Burg gegen Wikinger verteidigen. Meistens gewannen die Ritter, und die
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