Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das geheime Kind

Das geheime Kind

Titel: Das geheime Kind
Autoren: Thomas Kastura
Vom Netzwerk:
man allein sonst nicht zu betreten wagt.
    Raupach und Photini näherten sich, Höttges stellte seine Kollegen vor. Sie setzten sich alle auf die ringförmige Bank, die den Stiel des Pilzes umgab.
    »Ich hab nur einen Fuß gesehen«, sagte Frau Leins. Sie unterbrach den Strom ihrer Erinnerungen und sprang mühelos in die Gegenwart. Ihr Gehirn funktionierte wie ein DVD-Player, trotz einer Betriebszeit von 72 Jahren. »Um genau zu sein, war es ein Schuh. In diesem Dickicht konnte ich kaum etwas erkennen.«
    Raupach stellte die W-Fragen, wo, wann, manchmal kam er sich vor wie ein abgehalfterter Journalist. Frau Leins hatte ihre Entdeckung um 8 Uhr 45 gemacht, als sie nach ihrem morgendlichen Einkauf einen Spaziergang unternahm. Alles sei wie immer gewesen.
    »Ich wohne in der Kalkarer Straße, gewissermaßen um die Ecke. Früher hat uns Nummer 86 gehört«, sagte sie, »die Parzelle zwei Grundstücke weiter. Ich achte immer darauf, was sich in der Anlage verändert. Heute interessiert das die Leute ja nicht mehr, die bleiben lieber für sich.«
    »Haben Sie den Garten betreten?«, fragte Raupach.
    »Wo denken Sie hin, da hab ich mich doch nicht reingetraut. Zuerst hab ich gerufen, hallo, ist alles in Ordnung? und so etwas. Aber da hat sich nichts gerührt.« Frau Leins durchstöberte ihre Tasche, ein unförmiges Ding aus Kunstleder, und förderte ein Handy zutage. »Das hab ich mir angeschafft, damit meine Kinder mich überall erreichen können, auch in Notfällen. Die rufen aber nur vor ihren Geburtstagen an und geben Wunschlisten durch.«
    »Jetzt war ja ein Notfall«, meinte Photini. »Das Handy hat sich also schon ausgezahlt.«
    Frau Leins lächelte schwach. »Jedenfalls hab ich sofort die Polizei verständigt, wie es sich gehört.«
    »Gibt es hier öfter Schwierigkeiten?«, fragte Raupach. »Schlägereien oder dergleichen?«
    »Eigentlich geht es eher gesittet zu.«
    »Probleme mit Trinkern oder Drogenabhängigen?«
    »Bei Dunkelheit gehe ich nicht mehr in den Park. Ich will gar nicht so genau wissen, was da passiert.«
    »Und in den Kleingärten?«, fragte Photini.
    »Da findet schon mal eine Feier statt, zu diesem Zweck haben manche Leute ja ihre Grundstücke. Aber Drogen? Kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen.«
    »Kennen Sie die Leute aus Nummer 88?«
    »Die sind nett. Plavotic, ein Ehepaar. Er stammt aus Kroatien. Arbeitet als Elektriker. Leider kümmern sie sich selten um die Pflanzen. Ich hab sie schon seit Wochen nicht mehr gesehen.«
    »Macht es Ihnen etwas aus, die Leiche in Augenschein zu nehmen?«, fragte Raupach.
    Frau Leins zögerte. »Muss das sein?«
    »Wir suchen nach Hinweisen.«
    »Das ist mir schon klar.«
    »Helfen Sie uns dabei?«
    »Wenn Sie meinen.« Sie erhob sich und begleitete die Ermittler zum Tatort. Es fiel ihr nicht leicht. Einen Todesfall zu melden war eines. Doch eine Leiche zu begutachten, gehörte ihrer Ansicht nach zu den Aufgaben der Polizei.
    Frau Leins schlug eine Hand vor den Mund, als sie den Toten sah. Diese graue Haut. Wie Asche. Dann schaute sie genauer hin, überlegte. »Ich weiß nicht, wer das ist.«
    »Nie gesehen?«, fragte Raupach.
    »Schwer zu sagen. Ich meine, ich kenne viele Menschen aus dem Viertel und von der Anlage. Aber dieser Mann … Ich bin mir nicht sicher.«
    Das Gesicht. So gelassen. Die Züge waren entspannt. Ein wenig traurig, wie bei jemandem, der sich zu viele Gedanken macht über Dinge, die nicht zu ändern sind.
    »Es ist nur ein Gefühl«, fuhr sie fort. »Sie sehen jemanden beim Bäcker, er macht eine Bemerkung über das Wetter. Eine Woche später läuft Ihnen der gleiche Mann wieder über den Weg, an der Bushaltestelle. Sie werden stutzig, aber nur kurz. Dann vergessen Sie ihn wieder.«
    »Verstehe.«
    »Er kommt mir auf diese Art bekannt vor. Das ist auch schon alles.«
    Raupach nickte. »Fällt Ihnen etwas an dem Grundstück auf? Irgendeine Veränderung?«
    »Nein.«
    »Gut. Wenn Sie sich an mehr erinnern, wenden Sie sich an meinen jungen Kollegen. Trotzdem danke.«
    Höttges begleitete Frau Leins bis ans Ende der Absperrungen.
    »Die Frau ist eine gute Beobachterin«, meinte Photini.
    »Ja. Schade, dass nicht mehr dabei herauskam.« Raupach ging in die Hocke und wies auf die Markierungen. »Machen wir weiter mit dem, was wir haben.«
    »Es gibt hier Schuhspuren von mindestens drei verschiedenen Personen«, sagte Effie. Sie ließ die Abdrücke mit Gelatine-Folie sichern. »Vielleicht haben zwei Junkies den Toten ausgeraubt und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher