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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen
Autoren: Marcia Muller
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Nachteile gehabt, wären diese acht Büroräume in erstklassiger Lage
am Embarcadero irrwitzig teuer und für mich absolut unerschwinglich gewesen.
Doch Pier 24 1/2 lag genau neben dem Löschbootliegeplatz der Feuerwehr von San
Francisco, und wenn es Alarm gab, war das Sirenengeheul laut genug, um Tote
aufzuwecken. Und außerdem führte die Brücke direkt über das Gebäude hinweg. Von
oben kam eine ständige Kakophonie von Verkehrsgeräuschen, aber die letzten drei
Wochen hatten mich gelehrt, dass man sich an alles gewöhnt, wenn der Preis
stimmt.
    Ich sah wieder zu Ricky
hinüber; er hing in meinem Besuchersessel, den Blick noch immer auf Treasure
Island gerichtet, in Gedanken vermutlich Lichtjahre weit weg. Er hatte kaum
noch Ähnlichkeit mit dem armen Schlucker von damals, als er Back-up für eine
scheinbar endlose Folge grauenhafter Bands gemacht hatte. In den letzten Jahren
hatte er erheblich abgenommen, obwohl seine Schultern unter dem hellbraunen Anzugjackett
immer noch kräftig waren. Ich hatte den Verdacht, dass er sein dickes,
kastanienbraunes Haar inzwischen färben ließ, aber es sah so natürlich aus,
dass ich mir nicht sicher war. Frisörkunst hin oder her, Ricky war das Inbild
des Erfolgs und ein musikalischer Markenartikel, mit einer Mindestgage von
zweihunderttausend Dollar, zwei Grammys, diversen anderen Auszeichnungen und
vier Platin-Alben. Doch es hatte sich mehr verändert als nur sein Äußeres und
seine Steuerklasse: Gestern Abend beim Essen war seinem Sohn Mick, Hy und mir
aufgefallen, dass er auf eine für ihn absolut atypische Art leblos wirkte. Wenn
er von der Musikindustrie sprach, waren seine Worte voller Zynismus und
Bitterkeit; seine Reaktionen waren so unemotional, als befände sich zwischen
ihm und der Welt eine Trennscheibe, und wenn er überhaupt etwas ausstrahlte,
dann eine gehörige Portion Traurigkeit.
    Nach kurzem Abwarten sagte ich:
»Bist du damit einverstanden, dass ich RKI einschalte?«
    »Tu, was du für richtig
hältst.«
    »Okay, Hy ist heute Nachmittag
nicht erreichbar, aber wir reden mit ihm, wenn wir ihn heute Abend sehen. Was
meine Ermittlungen angeht, brauche ich zuerst mal Informationen über dein
Umfeld, deine Geschäftspartner, Freunde, Angestellten — alle, mit denen du in
letzter Zeit irgendwie zu tun hattest. Du musst mir eine Liste erstellen und
dir am Wochenende etwas Zeit freihalten, um sie mit mir durchzusprechen.« Noch
während ich das sagte, wurde mir der enorme Umfang dieser Aufgabe bewusst. »Was
ist mit den Leuten, die in diesem ›StarWatch‹-Artikel zitiert werden? Klingt
wie ein Rudel Haie.«
    »Ist nun mal so in der
Branche.« Wer sich mit Country Music nicht auskannte, hätte Rickys Akzent wohl
kaum für branchentypisch gehalten: kein gedehnter Südstaaten- Drawl ,
sondern reinstes Kalifornisch. Aber dennoch hundert Prozent Country, denn Ricky
kam aus Bakersfield, dem Westküstenäquivalent zu Nashville.
    »Ist das hier nicht
Verleumdung?« Ich tippte mit dem Zeigefinger auf den Ausspruch des Bosses
seiner Explattenfirma.
    »Ich bin eine öffentliche
Figur, da wär’s verdammt schwer, mit einer Verleumdungsklage durchzukommen —
selbst wenn ich’s wollte, was nicht der Fall ist. Blödes Geschwätz ficht mich
nicht an, und außerdem haben sich Sy Ziff und John Geller zwei Tage später bei
mir entschuldigt. Wir haben uns alle von unserer freundlichsten Seite gezeigt,
und jetzt ist alles wieder in Butter.«
    »Ach.«
    »Na klar doch.« Er zwinkerte.
    »Okay, wo wir gerade bei diesem
Thema sind, reden wir doch mal über deine Partner in der neuen Firma. Kurt Girdwood
ist seit Jahren dein Manager, über Ethan Amory hast du dich immer nur lobend
geäußert, und von Wil Willis sagst du, er sei schlichtweg brillant. Traust du
ihnen?«
    »Nein.«
    »Aber du gründest eine Firma
mit ihnen.«
    »Mit Wölfen zu paktieren ist
nun mal so eine Art Branchentradition.« Er zögerte, verzog das Gesicht. »Weißt
du, das Ganze hat noch einen anderen Aspekt, einen, der mich längst nicht so
beunruhigt wie die mögliche Gefahr für Charlene und die Kinder, der aber
trotzdem mitbedacht werden muss.«
    »Was?«
    »Die Auswirkungen, die das
Ganze, wenn es bekannt würde, auf die bevorstehende Promo-Tour für das Midnight
Train to Nowhere -Album und auf das neue Label haben könnte.«
    »Inwiefern?«
    Er stand auf und begann, in
meinem Büro auf und ab zu marschieren, wobei der Teppich das Geräusch seiner
Stiefel schluckte. »Die Musikindustrie hat sich
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