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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen
Autoren: Marcia Muller
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verändert, Shar — jedenfalls an
der Oberfläche. Gab Zeiten, da konnte ich in meiner Jacke und meinen Jeans auf
die Bühne stolpern, mit Haaren bis über den Arsch und völlig zugedröhnt, und
keiner fand irgendwas dabei. Aber das ist vorbei, was wohl auch gut ist, weil
das Dope und das Saufen für mich nicht mehr das Wahre waren und für meine
Familie, die es indirekt abgekriegt hat, schon gar nicht. Nein, heute ist
Glaubwürdigkeit in.«
    » Heißt?«
    »Persönliche Integrität. Man
muss sich des Respekts würdig erweisen, den einem das Publikum und die Kollegen
entgegenbringen. Man muss Gutes tun — Benefizkonzerte für dieses und jenes
geben, so wie heute Abend in Sonoma County. Man muss denen weiterhelfen, die
nicht so viel Glück gehabt haben — wie meine Vorgruppe heute Abend, diese
Arschgeigen von Maxima.« Er schnaubte verächtlich.
    »Maxima? Klingt wie ein
japanischer Autotyp.«
    »Steht für ›Maximiere dein
Potenzial‹ und diesen ganzen Schwachsinn. Die Band besteht aus vier Typen und
einer Sängerin. Lies, was die Presse über sie schreibt, und du wirst sehen,
dass sie voll auf der korrekten Linie sind: gegen Drogen, gegen Alkohol, gegen
Kriminalität, gegen vorehelichen Sex. Sie sind Vegetarier, Tierschützer,
Umweltschützer. Und sie sind ethnisch fein säuberlich gemixt: zwei Schwarze,
zwei Weiße, eine amerikanische Ureinwohnerin.«
    »Und warum sind sie dann
›Arschgeigen‹?«
    »Weil das nur ihr öffentliches
Image ist. Als Privatmenschen essen sie Fleisch, trinken Alkohol, nehmen
Drogen, und die Sängerin hopst von einem Bett ins nächste. Wahrscheinlich sind
sie auch noch Umweltsäue und Katzenquäler. Aber weil ihre Publicity stimmt,
gelten sie als glaubwürdige Vorbilder.«
    »Und warum brauchen sie dann
deine Hilfe?«
    »Weil ihre Musik für den Arsch
ist und ihre Platten sich nicht verkaufen.«
    »Und warum hilfst du ihnen?«
    »Weil wir dieselbe
Booking-Agentur haben.«
    »Ach.«
    Ricky fuhr fort: »Jedenfalls
ist die gesamte Branche inzwischen so scheinheilig, dass ich kotzen könnte. Die
Musikkritiker fressen diesen Mist und verteilen ihr Lob entsprechend. Natürlich
ist das ganze Business nach wie vor bis ins Mark verrottet und verderbt, aber
wen, zum Teufel, juckt schon, was unter der Oberfläche läuft?«
    Er marschierte jetzt mit
großen, zornigen Schritten auf und ab — so lebhaft, wie ich ihn seit langem
nicht mehr gesehen hatte. Werd wütend, Ricky, beschwor ich ihn im Stillen. Zeig
was von dem inneren Feuer, das dich diese ganzen Jahre der Zurückweisung und
Frustration hat überstehen lassen.
    »Und bist du glaubwürdig?«
    »Aber sicher bin ich’s. Ich
veranstalte doch schließlich heute Abend das verdammte Benefiz für diesen
Opferschutzverein, oder? Nicht, als hätte ich was gegen Kriminalitätsopfer,
nein, nur ist heute zufällig Jamies fünfzehnter Geburtstag, und ich wäre aus
diesem Grund gern zu Hause. Und ich lasse ja auch diese Maxima-Arschgeigen die
Vorgruppe machen, oder? Und spende ich etwa kein Geld für die Rettung der Wale
und des Regenwalds und der Schleiereule? Verdammt, ich weiß noch nicht mal, wie
eine Schleiereule aussieht. Wo soll das noch hinführen, frage ich dich?
Angesichts des neuen politischen Klimas in diesem Land wird mir mein Agent
nächstes Jahr um diese Zeit vermutlich irgendwelche Benefizkonzerte gegen die
Schleiereule aufs Auge drücken!«
    Er blieb abrupt stehen und
beugte sich über den Schreibtisch zu mir herüber. »Weißt du, warum mich Gruppen
wie Maxima echt auf die Palme bringen? Weil ich mir nämlich meine
Glaubwürdigkeit ehrlich errungen habe. Teil dieser ganzen Glaubwürdigkeitskiste
ist doch, dass der Künstler zu leiden hat. Verdammt, unsereins hat sich zu
quälen. Jeder kennt die Story von den langen Jahren, die ich damit zugebracht
habe, in Orten wie Needles und Wichita und Saginaw zu spielen und auf den Arsch
irgendeines abgehalfterten, drittklassigen Sängers zu starren, dessen
Road-Agent mich für weniger als den gewerkschaftlichen Mindestlohn angeheuert
hat. Mir hat nie irgendjemand aus der Branche geholfen. Niemand hat je ein
Benefizkonzert für meine hungrige Familie organisiert. Aber etwas haben diese
Jahre dennoch gebracht: Ricky Savage hat seinen Teil bezahlt. Reichlich. Er
genießt Respekt, verdammt nochmal!«
    Er war jetzt in Fahrt, setzte
seine ganze Anspannung wegen der akuten Situation in Zorn um. Vermutlich konnte
er so besser damit umgehen.
    Ich sagte: »Aber wenn jetzt
etwas von diesen Briefen zu den
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