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Das gebrochene Versprechen

Das gebrochene Versprechen

Titel: Das gebrochene Versprechen
Autoren: Marcia Muller
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kein anderer Anwalt meinen kontaktiert. Außerdem halten die
Leute mit so was nicht hinterm Berg; sie schwärzen einen bei den Medien an oder
drohen mit einem Prozess. Diese Briefe da sind hintenrum und verschlagen — und
seltsam.« Er schaute auf meinen Schreibtisch und schüttelte den Kopf.
    Auch mein Blick wurde von den
Blättern angezogen. Ich umklammerte die Armlehnen meines Sessels und sah die
fünf noch zu Hause lebenden Savage-Kinder vor mir. Dachte an den abgelegenen
Standort des neuen Hauses in den Hügeln von San Diego County, das die Familie
gerade erst bezogen hatte; die zwanzig Morgen Waldland ringsherum würden
jemandem, der sich in böser Absicht heranschlich, reichlich Deckung bieten.
    Als ich wieder aufsah, musterte
Ricky mich aufmerksam. Die Angst ließ seine Gesichtszüge schärfer hervortreten
und verlieh seinen braunen Augen einen merkwürdigen Glanz. Rasch sagte ich:
»Ich kümmere mich darum, aber erst mal müssen wir etwas für eure Sicherheit
tun, deine und die von Charlene und den Kindern. Es gefällt mir gar nicht, dass
der Absender weiß, wo du wohnst.«
    »Wir haben Sicherheitstore, wir
haben Bewegungsmelder, das ganze Grundstück ist mit modernsten
Alarmvorrichtungen gespickt. Außerdem haben wir so viel Personal, dass ich
manchmal das Gefühl habe, die halbe Bevölkerung arbeitet für uns. Wie sollte
jemand an all diesen Leuten vorbeikommen?«
    »Ist dir je der Gedanke
gekommen, dass jemand von ihnen der Briefeschreiber sein könnte?«
    »Einer von den Gärtnern? Die Haushälterin?
Ach, geh!« Aber ich sah genau, dass ihn dieser Gedanke beunruhigte.
    Ich setzte noch eins drauf.
»Und was ist, wenn ihr beide weg seid, Charlene und du? Oder wenn die Kinder
auf dem Schulweg sind oder im Einkaufszentrum? Und das Aufnahmestudio drüben in
Arizona, das liegt doch mitten im Nichts.«
    »Ach, Herrgott, was sollen wir
denn tun? Uns alle nur noch mit Leibwächtern aus dem Haus begeben?«
    »Es wundert mich tatsächlich,
dass du unterwegs keinen Leibwächter hast.«
    Er sah zu Boden. »Hab ich mal
eine Zeit lang probiert... Hat sich aber nicht bewährt.«
    »Wieso nicht?«
    Achselzucken. Er sah mich immer
noch nicht an. »Hat mich irgendwie verkrampft.«
    »Inwiefern?«
    Es zuckte ärgerlich um seine
Lippen. »Ich bin ein Mensch, dem seine Privatsphäre wichtig ist, Shar — lies
doch ›StarWatch‹, wenn du mir nicht glaubst.«
    Da war noch etwas anderes, was
die Leibwächterfrage anging, und ich glaubte zu wissen, was. Wie so viele
Musiker nahm es Ricky, wenn er auf Tour war, mit der ehelichen Treue nicht so
genau; ein indiskreter Leibwächter könnte Dinge erzählen, die weder meine
Schwester noch die Klatschkolumnisten erfahren sollten. »Na ja, es muss ja
nicht gleich eine bewaffnete Rund-um-die-Uhr-Leibwache sein«, sagte ich. »Ein
paar elementare Vorsichtsmaßnahmen müssten genügen. Was ich gern tun würde,
wäre RKI einzuschalten.« Renshaw und Kessell International war eine
Unternehmensschutzfirma, an der mein Lover und bester Freund Hy Ripinsky zu
einem Drittel beteiligt war. »Ich bitte Hy, sich persönlich drum zu kümmern,
wenn du möchtest.«
    »Gott, du musst die Lage ja für
ganz schön ernst halten.« Er biss sich auf die Unterlippe und sah zum Fenster
hinaus, ließ seinen Blick die San Francisco Oakland Bay Bridge entlangwandern,
dorthin, wo sie zwischen den Bäumen von Treasure Island verschwand.
    Ich stieß mich vom Schreibtisch
ab und drehte meinen Sessel ein wenig. Durch das hohe Bogenfenster konnte ich
ein ordentliches Stück Wasserfläche sehen; in der Ferne schimmerten die Hügel
der East Bay durch den Juli-Hitzedunst. Um mich herum trugen hohe, ockerbraune
Wände das schräge Dach des Piergebäudes, und ganz oben ließ ein Fries von
mehrteiligen Fenstern sanftes Nordlicht herein. Das Mobiliar, das ich aus
meinem alten Büro in der nunmehr aufgelösten Anwaltskooperative All Souls mitgebracht
hatte, passte gut zu dem Berberteppich, der den ganzen Fußboden bedeckte. Den
einzigen Misston bildete der schäbige alte Lehnsessel, den ich aus der
umfunktionierten Kammer unter der Treppe geborgen hatte, die mein erster
Arbeitsplatz in der Kooperative gewesen war. Er stand unter einer
Topfschefflera am Fenster — mein Denksessel, wie ich ihn nannte. Die
Sentimentalität hatte mich allerdings nicht davon abgehalten, seinen hässlichen
Chintzbezug und die hervorquellende Füllung mit einem handgewebten beigebraunen
Überwurf zu verdecken.
    Hätten sie nicht zwei
erhebliche
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