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Das fuenfte Maedchen

Das fuenfte Maedchen

Titel: Das fuenfte Maedchen
Autoren: Gillian Philip
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etwas gegeben und sie untersuchten es beide. Als er den Kopf zurückzog, griff sie sich in den Nacken und fummelte mit etwas herum, bis Nathan ihre Hand beiseiteschob und selbst damit herumfummelte. Dieser Windhund!
    Ich wollte durch den Sand zurückrennen und fragen, was es war. Vor zehn Jahren hätte ich das tun können. Aber vor zehn Jahren hätte sie mich natürlich nicht allein ans Ufer gehen lassen.
    Ein ohrenbetäubender Lärm ließ mein rechtes Trommelfell vibrieren. Direkt neben mir kreischte ein plumpes kleines Mädchen, weil ihr idiotischer älterer Bruder und seine blöden Kumpel sie nass spritzten. Bevor ich das Mädchen oder die Jungs ertränken konnte, bekam der Bruder Mitleid mit ihr, packte ihre kleinen Finger und zog sie zurück zu ihrer Mutter.
    Ich war sauer und taub, aber das dauerte nicht lange, weil ich von einer so lebhaften taktilen Erinnerung überwältigt wurde, dass ich auf meine Hand starren musste, um mich zu beruhigen.
    Nein, alles war in Ordnung. Ich war nach zwei Schlucken Cidre nicht durch das Kontinuum von Raum und Zeit gefallen. Was ich sah, war die Hand einer Fünfzehnjährigen, die Fingernägel türkis lackiert. Einen Moment lang hatte es sich jedoch so angefühlt wie eine winzige Hand, die in einer größeren lag.
    Die Erinnerung an den Vorfall war so körperlich, dass sie mir den Atem nahm. Vielleicht, weil es meine allererste Erinnerung war. Ein Meer genau wie dieses, in allen Einzelheiten: die Farbe, Schaumkronen auf kleinen Wellen, über die man leicht springen konnte. Ich erinnerte mich an den grün gestreiften Ball, der aufs Meer hinaushüpfte, und daran, dass ich nach ihm schrie. Ich erinnerte mich an die Kälte der Wellen, die Angst vor dem Meer dort draußen, wo die Wellen sich nicht brachen, und meine Trauer um den verlorenen Ball.
    Und ich erinnerte mich an Jinns warme Hand, die meine Hand umschloss. Ich hatte keine Erinnerung an ihr neun Jahre altes Gesicht, nur an meine Hand in ihrer, als wir zusammen über die Wellen sprangen. Jinn lachte, sodass ich aufhörte zu weinen. Wir kriegen ihn wieder, sagte sie. Nur noch ein Stückchen. Hab keine Angst.
    Ganz in der Nähe war eine Gruppe Jungs am Wellenreiten mit Bodyboards, aber das interessierte mich nicht. Ich brauchte all meine Konzentration, um über die Wellen zu springen. Es war ein sehr ernstes Spiel geworden und ich biss mir auf die Zungenspitze. Wir würden den Ball zurückbekommen, den grün-weiß gestreiften Ball, aber ich musste jede Welle überspringen, so wie man nie auf die Ritzen zwischen den Pflastersteinen trat. Jinn half mir jetzt, weil wir tiefer ins Wasser gegangen waren, das mir jetzt bis zu meiner dicken kleinen Taille reichte. Sie lachte, als sie mich hoch über jede Welle hob. Ich schrie nicht und kicherte nicht, weil die Sache so todernst war, denn wenn ich auf eine Welle trat, konnte etwas Schreckliches passieren.
    Und dann passierte es. Einer der Jungen mit den Bodyboards stieß mit Jinn zusammen und meine Hand glitt aus ihrer.
    Es war ein so abrupter, so entsetzlicher Verlust. Ohne ihre Hand fühlte sich meine an, als würde sie im Raum dahintreiben. Ich kippte um, als eine größere Welle anrollte, über mich hinwegspülte und mich hochhob. Ich wusste nicht, wo oben und unten war, und ich wusste nicht, wo das Ufer war, was Fels und Sand und Meer voneinander unterschied. Ich wusste nur, dass Jinns Hand nicht mehr da war, aber ich hatte keine Angst um mich, sondern um Jinn.
    Mein Mund und meine Nasenlöcher füllten sich mit Wasser, aber wir waren nicht so weit entfernt vom Ufer; es war nur, dass ich so klein war und so schreckliche Angst hatte. Als Jinn und der Junge mich gleichzeitig packten, schrie ich aus Angst um sie. Ich schrie und schrie aus Angst um Jinn, bis ihr Lachen und ihre kitzelnden Finger mein Schreien in Kichern verwandelten.
    Das Gefühl, wie ihre Hand meine losließ, vergaß ich nie. Ich stellte es mir immer wieder vor. Ich sah es nie, aber ich spürte es, oder besser gesagt, ich spürte es nicht. Die Leere in meinen Fingern und den Verlust, und Jinn, die von mir weghüpfte wie ein grün-weiß gestreifter Ball.

Zwei
    Wenn Jinn und ich Wechselbälger waren, wie ich manchmal vermutete (keine von uns schien Laras genetischen Code zu haben), dann waren wir Wechselbälger aus unterschiedlichen Eiern. Entweder das oder genau demselben Ei, und ich bekam all das
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