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Das fuenfte Maedchen

Das fuenfte Maedchen

Titel: Das fuenfte Maedchen
Autoren: Gillian Philip
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ist die, dass er vielleicht sowieso gesprungen wäre.
    Die Sache mit mir ist die, dass ich es nie wissen werde.
    Weil ich ihn nämlich nie fragen werde. Ich könnte ihn fragen, denn selbst das Springen vom Dach hat er nicht richtig hingekriegt. Er liegt im Haus seiner Eltern wie eine kaputte Puppe und wartet darauf, dass ich ihn frage. Aber mir würde seine Antwort nicht gefallen.
    Ich wollte nicht über Alex Jerrold und seinen stümperhaften Selbstmordversuch reden, und ich weiß nicht, warum Jinn davon anfing, ausgerechnet an einem Tag wie diesem. Wir beobachteten die Flut, die flussaufwärts strömte, aber es gab keine freien Bänke im Dot Cumming Memorial Park, sodass wir auf dem Rücken im Gras lagen. Es machte uns nichts aus, denn das Gras war trocken, und die schwarz gestrichenen Bänke sahen in der Hitze beinahe klebrig aus. Auf einer von ihnen, direkt rechts von uns, hatte sich das geblümte Hinterteil einer Frau so breitgemacht, dass man meinte, es habe zu schmelzen begonnen. Die Chancen standen gut, dass sie an der Bank festkleben und nie wieder aufstehen würde. So dick war sie. So heiß war es.
    Jinn hatte uns Eis gekauft und eine eisgekühlte Flasche Cidre, die schon lauwarm zu werden begann. In meiner Eistüte steckte ein Schokoladenriegel. Ich wollte ihn eigentlich nicht, konnte ihn aber schlecht in den Fluss werfen, da Jinn es doch gesehen hätte und extra Geld dafür ausgegeben hatte, um mich glücklich zu machen. Sie hatte das spitze Ende der Eistüte abgebissen, so wie sie es immer tat, und schaufelte damit Eis von oben ab. Ich beobachtete, wie sie die Mini-Eistüte ganz in den Mund steckte und sie mit geschlossenen Augen knirschend zerkaute. Ich liebte es, ihr dabei zuzusehen; es war das Beste am Eisessen. Das machte mich glücklich, nicht der Schokoladenriegel. Jinn hatte vergessen, dass ich kein kleines Kind mehr war. Irgendwie vergaß sie auch immer, dass ich zu alt für Eis war. Was super war.
    Ein Kampfjet vom Fliegerhorst donnerte über unsere Köpfe hinweg. Ein zweiter folgte ihm wenige Sekunden später. Doch der ohrenbetäubende Lärm wurde schnell schwächer, sodass ich keine Entschuldigung hatte, den Mund zu halten. Jinn sagte nichts mehr, weil sie wusste, dass ich irgendwann etwas würde sagen müssen. Ich wollte sie nicht enttäuschen und sagte schließlich: »Nicht wirklich.«
    Â»Nicht was, Rubes?«
    Â»Nicht sein Fehler.« Mir klebte die Zunge am Gaumen fest. Das lag an der Hitze. Ich leckte an meinem Eis. Gott, war es heiß. »Ein paar Leute haben …«
    Â»Gebrüllt, er soll springen?« Sie zuckte die Achseln. »Weiß ich. Na und? Sie haben es nicht ernst gemeint.«
    Â»Wie willst du das wissen?«
    Â»Schließlich«, sagte sie noch einmal, »hat ihn keiner geschubst.«
    Ich hatte schon einen ganz trockenen Mund vom vielen Reden. »Er hat nicht mehr klar gedacht.«
    Â»Wie willst du das wissen?« Jinn legte den Kopf schief. »Du warst nicht in seinem Kopf.«
    Womit klar ist, wie viel du weißt, wollte ich sagen. »Warum haben sie gesagt, er soll springen, wenn sie es nicht ernst gemeint haben?«
    Â»Keine Ahnung. Haben sich da irgendwie reingesteigert? Waren aufgeregt? Wollten jemanden beeindrucken?«
    Ich sah sie missbilligend an, aber sie erwiderte meinen Blick nicht. Jinn hatte mich nie über Alex ausgefragt. Ich denke, sie respektierte meine Privatsphäre oder so. Wartete darauf, dass ich darüber reden wollte. Wenn sie darauf wartete, würde sie an Langeweile sterben.
    Sie saugte den Rest des geschmolzenen Eises durch das Loch unten in der Eistüte, warf die Eistüte in Richtung Fluss und ließ sich mit einem glücklichen Seufzer zurückfallen. Eine Möwe fing das Stück Eistüte, bevor es ins Wasser fiel. Das erinnerte mich an Alex Jerrold, aber das tat zurzeit alles. Nichts machte einen Sturzflug durch den blauen Raum, um Alex aufzufangen; keine weißen Flügel durchschnitten die tödliche Leere. Alex landete. Die Erinnerung fühlte sich an wie ein Schlag in den Magen. Ich fuhr hoch. »Wollen wir was anderes machen?«
    Â»Was zum Beispiel?« Jinn öffnete ein Auge.
    Â»Strand?«
    Â»Kannst du denn nicht einfach mal still dasitzen?«, beklagte sie sich.
    Nein, ganz bestimmt nicht. Außerdem: Wenn es nach Jinn ging, würden wir unsern Hintern von Juli bis September nicht von der Stelle bewegen.
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