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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium
Autoren: Philipp Vandenberg
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Glattrasierte ins Wort: »Eine halbe Million war vereinbart. Sie sollten den Bogen nicht überspannen! Also, was wollen Sie?«
    In diesem Augenblick verlosch das Licht, der Dirigent trat ans Pult, das Publikum klatschte höflich, der Vorhang hob sich, und Orpheus (Alt) ging Eurydike (Sopran) gute zwanzig Minuten voran, ohne, wie es das Libretto vorschrieb, sich umzudrehen. Es kam dann noch zu irgendwelchen Selbstmordabsichten von seiten des Kastraten, welche dieser mit Hilfe der Arie ›Ach, ich habe sie verloren‹ zu untermauern suchte, aber die Ausführung des Vorhabens ließ auf sich warten, und Anne interessierte sich ohnehin nicht sonderlich dafür. Ihre Gedanken kreisten um diesen seltsamen Mann an ihrer Seite, und sie spürte, wie sich in ihrem Nacken Schweißperlen bildeten.
    Der dritte Akt dehnte sich endlos lang. Sie hatte Schwierigkeiten, ruhig zu sitzen, schlug einmal das rechte Bein über das linke, ein andermal das linke über das rechte, krallte sich an ihrer schwarzen Handtasche fest und stellte sich vor, wie ihr Gesicht wohl glänzen würde, wenn das Licht anging. Um Himmels willen, dachte sie, es muß doch etwas geschehen, und noch immer stand die Frage des Mannes im Raum. Derart in die Enge getrieben und weil sie einfach nicht weiterwußte, zischelte sie zur Seite: »Ich denke, wir sollten noch einmal verhandeln …«
    »Wie bitte?«
    »Ich denke, wir sollten …«
    »Pssst!« tönte es aus der achten Reihe, und der Glattrasierte machte, soweit man das in der Dunkelheit erkennen konnte, eine beschwichtigende Handbewegung, die wohl andeuten sollte, er habe sie genau verstanden und nur zum Zeichen seiner Entrüstung ›wie bitte?‹ geflüstert.
    Sie bemerkte noch, während Orpheus und Eurydike sich singend in die Arme fielen, was auch in dieser Oper als untrügliches Zeichen des nahenden Endes erkannt werden darf, daß der Unbekannte eine Karte aus seinem Sakko zog und mit einem Stift darauf herumkritzelte.
    Mit dem Schlußakkord ging der Vorhang nieder, das Publikum applaudierte, und gerade in dem Augenblick, als die Schummrigkeit des Parketts von gleißend hellem Glanz vertrieben wurde, sprang der Mann neben ihr auf, drückte ihr die Visitenkarte in die Hand und drängte sich ziemlich rücksichtslos aus der Mitte der Zuschauerreihe, noch ehe Anne ihm folgen konnte.
    Später, im Foyer, betrachtete Anne die Visitenkarte, auf der sich der Autovermieter AVIS, Budapester Straße 43, am Europa-Center, empfahl, was ihr der rotbäckige Glattrasierte gewiß nicht nahebringen wollte. Anne drehte die Karte um und erkannte eine ungelenke Notiz von altmodischer Handschrift, die sie endlich nach mehreren Ansätzen entzifferte als: ‹Morgen 13 Uhr – Museum – Nofretete – neues Angebot‹.
    Zum Teufel mit dem Kerl! Der Mann war ihr höchst zuwider. Man kennt das: Es gibt Leute, denen begegnet man zum ersten Mal, man wechselt nicht ein Wort mit ihnen, aber dennoch empfindet man unbeschreibliche Antipathie gegen sie. Anne haßte rotbackige Männer, und sie haßte Männer, die wie eine Speckschwarte glänzten.
    Aber dennoch zweifelte sie keine Sekunde, daß sie morgen zu dem Treff gehen würde.
6
    J ede andere hätte der Treffpunkt vermutlich in tiefe Ratlosigkeit gestürzt; schließlich war Nofretete eine ägyptische Königin. Anne von Seydlitz wußte natürlich, daß die weltberühmte Kalksteinbüste der Nofretete, um die Jahrhundertwende von Deutschen ausgegraben, seit Kriegsende im Dahlemer Museum ausgestellt wurde. Der Treffpunkt bestätigte ihren von Anfang an gehegten Verdacht, der Unbekannte könnte hinter einer kostbaren Antiquität her sein.
    Leute dieser Art werden von Kunsthändlern geschätzt, weil sie bereit sind, für das Objekt ihrer Begierde jeden Preis zu zahlen. Unter dieser Klientel kannte Anne mehr als einen Sammler, der, obwohl durchaus wohlhabend, sich auf bedrohliche Weise verschuldet hatte, nur um in den Besitz irgendeiner aberwitzigen Kostbarkeit zu gelangen, die geeignet schien, seine Sammlung zu krönen.
    Ähnliches vermutete sie hinter der Absicht des Unbekannten, und weil sie befürchtete, sich in irgendeine kriminelle Sache zu verstricken (ein Mann, der sie mit einer anderen betrog, war auch fähig, sie mit unlauteren Geschäften zu hintergehen), faßte sie den Entschluß, den Rotbackigen beim morgigen Treffen über den Tod ihres Mannes aufzuklären; dann müßte jener die Katze aus dem Sack lassen und erklären, was in aller Welt ihm soviel Geld wert sei und warum das
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