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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium
Autoren: Philipp Vandenberg
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begann, stieß sie auf eine gelbe Eintrittskarte. Deutsche Oper Berlin, Mittwoch, 20. September, 19 Uhr.
    Anne hielt das Billett mit Daumen und Zeigefingern beider Hände. Guido war, bei Gott, kein Opernfreund gewesen. Die wenigen Male, die sie zusammen eine Oper besucht hatten, konnte sie an einer Hand abzählen. Für Anne erschien das nur ein Beweis mehr, wie Guido sie hintergangen hatte. Und sie gehörte zu den Frauen, die alles verzeihen könnten, nur nicht die Gewißheit, daß ihr Mann sie betrog.
    Während sie den Inhalt der Brieftasche vor sich auf dem Boden des Badezimmers ausbreitete wie ein Puzzle oder eine Patience, begann sie ihre Gedanken zu ordnen. Längst hatte sie sich grübelnd so in das Doppelleben ihres Mannes verstrickt, daß es für sie kein Halten mehr gab: Sie würde nicht eher Ruhe geben, bis sie dies in allen Einzelheiten aufgeklärt hatte.
    Der Tag, der gegen sieben allmählich zum Fenster hereinschimmerte und sich mit dem Gelb der Wandleuchten mischte, trug merklich dazu bei, Annes Sinne zu beruhigen. Diese Besänftigung verdrängte ihre Wut jedoch keineswegs, sie ließ nur ihr Ziel klarer erscheinen.
    Anne war alles andere als der Typ eines Schnüfflers; aber es ist bekannt, daß Ehebruch nie gekannte Charaktereigenschaften freisetzt. In ihrem Fall konnte man sogar sagen: Es war ihre Wut, die sie vor dem totalen Zusammenbruch bewahrte.
    Noch während sie mit der Klinik telefonierte, wo sie wie erwartet erfuhr, daß jene Frau aus dem Unfallwagen, die sich als Hanna Luise Donat ausgegeben hatte, ganz anders aussah als die Frau im Rollstuhl, fiel ihr Blick auf das Datum der Opernkarte: 20. September. – Heute!
    Anne schnippte mit dem Finger, und zum ersten Mal seit Tagen huschte ein kleines Lächeln über ihre Mundwinkel, ein kleines, teuflisches Lächeln. Gewiß, die Hoffnung war gering, aber je länger sie das Billett in der Hand hielt, desto mehr kam in ihr das Gefühl auf, die Opernvorstellung könnte sie auf irgendeine Spur bringen. Sie konnte und mochte sich einfach nicht vorstellen, daß Guido über Nacht zum Opernfan geworden war und allein eine Opernvorstellung besuchte – noch dazu, ohne dies mit einem Wort zu erwähnen.
5
    I m Flugzeug nach Berlin erinnerte sich Anne der Zeit vor sechs, sieben Jahren, als ihre Ehe zur Routine geworden war, nicht gerade unerträglich, aber doch so, daß es keine Aufregungen mehr zu geben schien in ihrer Beziehung, keinen Krach, aber auch keine Versöhnung; alles lief – wie man so zu sagen pflegt – wie am Schnürchen. Damals, eben vor sechs, sieben Jahren, hatte sie sich allen Ernstes überlegt, mit dem jungen Volontär in der Firma etwas anzufangen, der sie seine Blicke spüren ließ, sobald sie auftauchte. Diese Lust, die jede Frau überkommt, sobald sie ihre sogenannten besten Jahre erreicht hat, quälte sie monatelang; denn zum einen hätte es sie gereizt, die Wirkung ihrer 35 Jahre auf einen schüchternen, aber nicht unattraktiven Jüngling auszuprobieren, zum anderen wollte sie Guido merken lassen, daß sie auf andere, sogar jüngere Männer durchaus anziehend wirkte.
    Auf diesem Umweg hoffte Anne ihrem Mann in Erinnerung zu bringen, daß eine Ehe aus mehr besteht als aus Arbeit, Erfolg und zweimal Urlaub im Jahr. Aber eine plötzliche Erkenntnis im Hinterzimmer des Geschäftes, in das sie an einem ruhigen Montagnachmittag Wiguläus – so hieß der studierte Knabe, und er sah auch so aus – mit der Absicht gerufen hatte, ihn zu verführen (sogar daß sie lila Unterwäsche und gleichfarbige Strümpfe trug, war ihr noch gegenwärtig), führte sie jäh in die Wirklichkeit und auf den Pfad der Tugend zurück. Jedenfalls hatte sie, als der Jüngling begann mit seinen schlanken weißen Händen unter ihrem Kaschmirpullover herumzuwühlen wie ein Bäcker im Teig, ausgeholt und ihm, dem Knaben, eine schallende Ohrfeige verabreicht und mit gespielter Bestimmtheit, wie es einer verheirateten Frau zukam, erklärt, er möge das nie wieder tun – im übrigen aber wolle man die Angelegenheit vergessen.
    Erst viel später hatte sie begriffen, daß dieses Erlebnis der klassische Sieg des Verstandes über das Gefühl gewesen war, jene seltene Art von Sieg, die im Abstand der Jahre nicht immer und nicht unbedingt erstrebenswert erscheint. Im beschriebenen Fall hätte ein vollzogener Seitensprung – um das häßliche Wort Geschlechtsverkehr zu vermeiden – vielleicht wirklich mehr bewirkt, vorausgesetzt, ihr Mann hätte davon Wind bekommen und
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