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Das Fuenfte Evangelium

Das Fuenfte Evangelium

Titel: Das Fuenfte Evangelium
Autoren: Philipp Vandenberg
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sie hätten sich in angemessener Weise versöhnt. Um so mehr mußte es sie kränken, daß ihre Treue von Guido auf so perfide Weise mißbraucht worden war; nun aber reute es sie erst recht, sich dem jungen Wiguläus nicht hingegeben und statt dessen geordnete Verhältnisse aufrechterhalten zu haben wie in einer ganz normalen Ehe.
    Das Hotel, in dem Anne von Seydlitz abstieg (Hotel Kempinski), ist für den Fortgang der Geschichte ohne Bedeutung, anders die Operninszenierung (Orpheus und Eurydike von Christoph Willibald Gluck); beide seien indes der Vollständigkeit halber erwähnt. Jedenfalls nahm sie ihren Opernplatz, Parkett, siebente Reihe, erst im allerletzten Augenblick ein und war erstaunt, zu ihrer Rechten einen rotbackigen, glattrasierten Herrn mit randloser Brille zu finden, dem zum Domprediger nur der Talar fehlte, und zu ihrer Linken eine zauberhafte alte Dame, hätte sie nur nicht andauernd Eukalyptusbonbons gelutscht.
    Fehlanzeige!, ging es ihr durch den Kopf, während sich auf der Bühne ein schmächtiger Kastrat mit Altstimme als trauernder Orpheus abmühte. Anne ließ sich von der Gluckschen Musik einlullen; ja, die Musik kam ihrer Stimmung sehr entgegen, und so bemerkte sie auch nicht, daß der Glattrasierte zu ihrer Rechten sie mit verstohlenen Blicken zu mustern begann.
    Vielleicht hätte sie die Blicke sogar genossen; jedenfalls blieb sie in der Pause auf ihrem Platz sitzen, ratlos in Gedanken versunken, bis die Reihe sich füllte, und der Rotbackige zu ihrer Rechten Platz nahm. Und während dieser sich umständlich in seinen Sessel gleiten ließ, wandte er ihr seitlich den Kopf zu und sagte, kaum daß er die Lippen bewegte: »Auf diesem Platz hätte ich Guido von Seydlitz erwartet. Wer sind Sie?«
    Anne schwieg. Aber dieses Schweigen fiel ihr nicht leicht. Sie mußte sich jetzt jedes einzelne Wort überlegen. Jetzt ja keinen Fehler machen! Für die Bemerkung des Unbekannten fand Anne absolut keine Erklärung. Er mußte Guido gekannt haben. Was wollte er von ihm, hier in der Oper? In welchem Zusammenhang stand er mit der rätselhaften Frau aus dem Unfallwagen?
    Sie konnte Guido verleugnen, irgendeinen Namen nennen und behaupten, sie habe das Billett einem Unbekannten vor der Tür abgekauft; aber das hätte bedeutet, daß überhaupt keine Chance bestand, das Rätsel aufzuklären. Und nun, da die Situation noch viel verworrener erschien als zuvor, wollte sie nur das eine wissen: Was spielte sich da hinter ihrem Rücken ab?
    Nachdem sich ihre Blicke viel zu lange herausfordernd gemessen hatten, beantwortete Anne die ihr gestellte Frage mit gezwungener Ruhe: »Ich bin Anne von Seydlitz, seine Frau.«
    Der rotbäckige Glattrasierte schien diese Antwort erwartet zu haben, jedenfalls machte er keinen aufgeregten Eindruck; im Gegenteil, er wirkte eher verärgert, stieß Luft durch die Nase – eine Angewohnheit, die Anne nicht ausstehen konnte – und fragte herausfordernd wie ein unwilliger Schalterbeamter: »Und, was haben Sie für eine Nachricht?«
    In diesem Augenblick war Anne klar, daß irgend etwas im Gange war, von dem sie keine Ahnung hatte. Gewiß, es gibt auf der ganzen Welt keinen Kunsthändler, der nicht schon Geschäfte am Rande der Legalität gemacht hätte, und sie wußte auch von dieser oder jener Mauschelei ihres Mannes, die nicht unerheblichen Gewinn gebracht hatte; aber sie wußte eben immer davon, und derlei Geschäfte pflegten bei einem noblen Dinner in einem noch nobleren Restaurant abgeschlossen zu werden, keineswegs jedoch in Reihe sieben einer Opernvorstellung.
    Sie hätte jetzt natürlich die Wahrheit sagen können, daß sie von nichts eine Ahnung habe, weil ihr Mann bei einem Unfall ums Leben gekommen sei, aber sie hielt das für falsch, und deshalb nahm sie sich vor, die Wissende zu spielen, solange es ging. Zu Annes hervorragenden Eigenschaften gehörte es, in ungewöhnlichen Situationen, und anders war diese ja wohl nicht zu bezeichnen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wenn sie etwas verunsicherte, dann war es die Eiseskälte, die Unempfänglichkeit für ihren Charme. In diesem Falle aber verursachte sie keine Gefühlsregung, das spürte sie genau. War sie in den letzten Tagen so gealtert, oder stand ihr die Wut ins Gesicht geschrieben wie einer Erinnye? Der Unbekannte wartete noch immer auf Antwort.
    »Eine Nachricht?« meinte Anne mit gespielter Verlegenheit.
    Und während sie scheinbar nach Worten rang wie ein Kind, das bei einer Lüge ertappt wird, fiel ihr der
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