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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen
Autoren: Ellis Peters
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Blutsverwandte, wie Ihr wißt. Hättet Ihr nicht ähnliche Maßnahmen ergriffen, um ein solches Übel von Eurem Enkelkind abzuwenden, wie ich es für meine Schwester tat? Sie ist mir so nahe und so teuer wie mein eigener Sohn. Sie ist Eure Enkeltochter. Ich erinnere mich gut an die zweite Heirat meines Vaters. Ich erinnere mich an den Tag, an dem Ihr die Braut zu uns brachtet, und an den Stolz meines Vaters, als sie ihm ein Kind schenkte. Da er schon lange tot ist, war ich Helisende nicht nur wie ein Bruder, sondern auch wie ein Vater verpflichtet. Natürlich wollte ich sie und meinen Sohn schützen.
    Diesen Wunsch habe ich auch jetzt noch. Messire de Perronet hat seine Werbung nicht zurückgezogen, und auch ich bleibe bei meinem Verbot.«
    Audemar hatte sich erhoben und sah seine Mutter mit zusammengezogenen Augenbrauen und hartem Gesicht an.
    »Was gibt es noch zu wissen?« fragte er scheinbar ruhig. Doch so gleichmütig und leise seine Stimme auch klang, man hörte Zweifel und Unbehagen darin. Eine Frau ohne Adelais'
    unbeugsamen Willen hätte sich bedroht gefühlt. Sie aber erwiderte seinen Blick und ließ sich nicht beeindrucken.
    »Dieses hier! Ihr macht Euch unnötige Sorgen. Es gibt, Cenred, keine Barriere zwischen Eurem Sohn und Helisende außer jener, die Ihr selbst errichtet habt. Es wäre kein Inzest, wenn sie heirateten und ihr Lager teilten. Helisende ist nicht Eure Schwester, Cenred, sie ist nicht die Tochter Eures Vaters.
    In Ihren Adern fließt kein Tropfen Blut aus Vivers.«
    »Aber das kann nicht sein!« protestierte Cenred mit ungläubigen Kopfschütteln. »Das ganze Haus kennt das Kind von Geburt an. Was Ihr sagt, ist unmöglich. Warum kommt Ihr mit einer solchen Geschichte, wenn alle meine Leute bezeugen können, daß sie von der rechtmäßigen Frau meines Vaters hier in ihrem Bett und hier in meinem Haus geboren wurde?«
    »Nachdem sie in meinem gezeugt wurde«, fiel Adelais ein.
    »Ich frage mich, warum niemand auf die Idee kam, die Tage zu zählen. Ich verlor damals keine Zeit. Meine Tochter war bereits schwanger, als ich sie hierherbrachte und heiraten ließ.«
    Nun waren alle aufgesprungen, nur Emma saß bleich über ihrem Stickrahmen, erschüttert von den ungläubigen und wütenden Rufen, die wie wechselnde Winde um sie fuhren.
    Cenred hatte die Sprache verloren, aber de Perronet wandte ein, daß alles falsch sei und die Dame ihren Verstand verloren habe. Roscelin war aufgesprungen, um ihm seinerseits zu widersprechen. Mit funkelnden Augen und halb außer sich wandte er sich von seinem Rivalen an Adelais und flehte, forderte, daß wahr sei, was sie gesagt hatte. Schließlich schlug Audemar laut die Faust auf den Tisch und brachte mit lauter, gebieterischer Stimme alle anderen zum Schweigen. Adelais hatte die ganze Zeit aufrecht und reglos gestanden wie ein Stein, die Rufe und das Durcheinander einfach über sich ergehen lassen.
    Sie schwiegen nun, die Rufe hörten auf, nur noch angestrengtes Atmen war zu hören, während alle Anwesenden sie anstarrten, als müßte man nur lange genug ihr Gesicht ansehen, um zu erkennen, ob sie die Wahrheit gesagt hatte.
    »Wißt Ihr auch, Madam, was Ihr da sagt?« fragte Audemar schließlich mit gefaßter, ruhiger Stimme.
    »Allerdings, mein Sohn! Ich weiß, was ich sage, und ich weiß, daß es wahr ist. Ich weiß, was ich getan habe, und ich weiß, daß es nicht recht war. Niemand von Euch brauchte es zu sagen, ich sage es selbst. Aber ich tat es, und keiner von Euch kann es heute ungeschehen machen. Ja, ich täuschte Herrn Edric, ja, ich zwang meine Tochter zu dieser Ehe, ja, ich setzte das Kind eines anderen in dieses Haus. Oder, wenn Ihr so wollt, ich ergriff Maßnahmen, um den Namen und das Vermögen meiner Tochter zu schützen und dafür zu sorgen, daß sie ihre Ehre behielt, wie Cenred es für seine Schwester tun wollte. Ob Edric jemals diesen Handel bereute? Ich glaube nicht. Freute er sich über das Kind, das er für das seine hielt?
    Ganz gewiß. All die Jahre habe ich es dabei belassen, aber nun hat Gott es anders gefügt, und es tut mir nicht leid.«
    »Wenn es wahr ist«, sagte Cenred, indem er tief Luft holte, »dann muß Edgytha davon gewußt haben. Sie kam mit Bertrade her, und wenn Ihr, jetzt endlich, die Wahrheit sagt, dann muß sie eingeweiht gewesen sein.«
    »Sie wußte es«, sagte Adelais. »Und mir tut der Tag leid, an dem ich sie abwies, als sie mich bat, die Wahrheit zu sagen, und noch mehr bedrückt mich, daß sie heute nicht
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