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Das Fremde Mädchen

Das Fremde Mädchen

Titel: Das Fremde Mädchen
Autoren: Ellis Peters
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und den heiraten, dem sie ihr Herz geschenkt hat. Einmal nannte sie mich Vater, aber ich glaube, damit meinte sie den Priester, der ich ja am Anfang für sie war. Dennoch war es gut zu hören, es ist eine schöne Erinnerung. Diese Stunde, die wir drei zusammen verbringen durften, macht die achtzehn langen Jahre wieder gut, auch wenn wir nur so wenig sprachen. Mein Herz konnte es kaum ertragen. Betrade widmet sich inzwischen wieder ihren Pflichten, und das muß auch ich bald... sehr bald schon... morgen...«
    Cadfael hatte schweigend den langen, zögernden und doch so bedeutsamen Monolog seines Freundes angehört. Immer wieder hatte es lange Pausen gegeben, in denen Haluin von seinen Eindrücken mitgerissen wurde und sprachlos staunte.
    Kein Wort verlor er über die schrecklichen Dinge, die man ihm bewußt und grausam angetan hatte. Alles wurde durch die Freude über den Ausgang vertrieben, keinen Gedanken verschwendete er noch an Schuld oder Vergebung. Und das war das endgültige und beinahe ironische Urteil, das über Adelais de Clary gesprochen wurde.
    »Sollen wir zur Vesper gehen?« fragte Cadfael. »Die Glocke hat geläutet, sie sind sicher schon alle an ihren Plätzen, und wir können unbemerkt hinein.«
    Aus ihrer düsteren Ecke in der Kirche betrachtete Cadfael die jungen, klaren Gesichter der Schwestern. Etwas länger ruhte sein Blick auf Schwester Benedicta, die einst Bertrade de Clary geheißen hatte. Neben ihm intonierte Haluin mit leiser, glücklicher Stimme die Antworten und Gebete. Cadfael mußte sich an die Stimme erinnern, mit der Haluin in der Scheune des Waldbauern kurz vor der Dämmerung langsam und zögernd Wort auf Wort wie Blutstropfen fallen gelassen hatte. Dort stand nun erfüllt und zufrieden die Frau an ihrem Platz, die er hatte beschreiben wollen. »Sie war nicht so schön wie ihre Mutter.
    Sie hatte nicht dieses dunkle Strahlen, sie war freundlicher. An ihr war nichts Dunkles oder Geheimnisvolles, sie war offen wie eine Blume im Sonnenschein. Sie hatte keine Angst – damals noch nicht. Sie vertraute jedem, und sie war niemals betrogen worden – damals noch nicht. Nur einmal wurde sie betrogen, und daran starb sie.« Aber nein, sie war nicht gestorben. Und in diesem Moment, wie sie ergeben und pflichtbewußt in der Kirche stand, war nichts Dunkles und Zurückhaltendes an ihr.
    Das ovale Gesicht schien heiter, während sie nach all den Jahren voller Freude den Gottesdienst feierte. Nichts war zu bedauern, nichts trübte ihre Zufriedenheit. Die Berufung, der sie ohne Segen gefolgt war, mühsam und anfangs sicher widerstrebend, kam nun, nach so vielen Jahren und durch die Gnade Gottes zu ihrer Erfüllung. Sie machte nicht kehrt, um sich ihrer ersten Liebe zuzuwenden. Es gibt eine richtige Zeit für die Liebe. Die ihre hatte die Stürme des Frühlings und die Hitze des Sommers überstanden, und nun begann die goldene Stille der ersten Herbsttage, die sich einstellt, bevor die ersten Blätter fallen. Bertrade de Clary und Bruder Haluin schienen einander nun sehr ähnlich, gefestigt und unverletzlich im Frieden ihrer Seelen. Es war nicht nötig, sich wiederzusehen, Leidenschaft spielte keine Rolle mehr. Sie waren von ihrer Vergangenheit befreit, und beide hatten in der Zukunft Aufgaben zu erfüllen, denen sie nun noch eifriger und gründlicher nachkommen würden, da sie wußten, daß der andere lebte und den gleichen Acker bestellte.
    Am Morgen nach der Prim nahmen sie Abschied und machten sich auf die lange Heimreise.
    Die Schwestern waren zum Kapitel versammelt, als Cadfael und Haluin Ranzen und Krücken nahmen und das Gästehaus verließen. Helisende begleitete sie bis zum Tor. Es schien Cadfael, als sei von allen Gesichtern jeder Schatten und jeder Zweifel genommen. Alle zeigten ein ungläubiges Staunen und schienen verwundert über das Glück, das ihnen zuteil geworden war. Nun sah man deutlicher, wie ähnlich Vater und Tochter einander waren, denn die Spuren der Jahre waren aus Haluins Gesicht gewischt.
    Helisende umarmte ihn zum Abschied, inbrünstig und zugleich schüchtern und ohne ein Wort zu sagen. Trotz des vergangenen Tages, trotz der Vertrautheit, die entstanden sein mochte, sie konnte ihm nicht so schnell so nahe kommen wie ihre Mutter. Doch sie wußte, daß er sanft und angenehm war, und sein Einbruch in ihr Leben hatte sie von ihrem Alptraum, von Schuld und Verlust befreit. Das war die Erinnerung, die sie an ihn behalten würde, und sie war erfüllt von einer Freude und
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