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Das Flüstern der Stille

Das Flüstern der Stille

Titel: Das Flüstern der Stille
Autoren: Ivonne Senn Heather Gudenkauf
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verschwindet!“
    Griff blieb reglos stehen. Calli trat einen Schritt vor, um besser hören zu können, doch Griff zog sie zurück. „Es ist mir egal, ob zwei Mädchen vermisst werden. Ihre Tochter ist weg, und das ist alles, was dich interessiert!“, schimpfte die Frau verbittert. „Wenn Antonia ruft, lässt du alles stehen und liegen!“ Jetzt schwieg sie und lauschte der Stimme am anderen Ende der Leitung. „Was auch immer, Louis. Tu, was du nicht lassen kannst, aber erwarte nicht von mir, dass ich darüber glücklich bin.“ Sie nahm das Telefon vom Ohr und drückte wütend einen Knopf. Dann holte sie aus, als wolle sie das Telefon ins Gebüsch werfen, hielt im letzten Moment aber inne. „Verdammt“, fluchte sie, ging zurück ins Haus und schlug die Tür mit einem Knall hinter sich zu.
    Griff schnaubte verächtlich. Er blickte Calli an. „Du wirst also vermisst, ja? Ich frage mich, wer dich entführt hat.“ Er lachte gehässig. „Ooooh, ich bin ein großer, böser Kidnapper. Himmel! Lass uns gehen. Deine Mutter wird ziemlich sauer auf uns sein, wenn wir nach Hause kommen.“
    Calli ließ sich zurück in den Schatten der Bäume führen, und sofort war die Luft um sie herum wesentlich kühler. Ihre Mutter wusste, dass sie verschwunden war, aber sie schien nicht damit zu rechnen, dass sie bei ihrem Vater war. Welches andere kleine Mädchen wurde noch vermisst? Calli unterdrückte die Tränen, wollte zurück zu ihrer Mutter, wollte ihr uringetränktes Nachthemd ausziehen, ihre Hände waschen und ihre blutenden Füße verbinden, dann ins Bett krabbeln und sich unter der Decke verstecken.

Martin
    Ich war an allen Lieblingsplätzen von Petra. In der Bücherei, in der Schule, in der Bäckerei, bei Kerstin zu Hause, bei Ryan, am Wycliff Pool und hier, im East Park. Jetzt laufe ich zwischen den Schaukeln, Wippen, Rutschen und Kletterbalken umher, alles wirkt verlassen zu dieser frühen Morgenstunde. Ich bin sogar auf die schwarze Lokomotive geklettert, die die Eisenbahngesellschaft dem Spielplatz überlassen hat. Es erstaunt mich, dass irgendeiner der Verantwortlichen glaubt, dass so eine Maschine ein sicheres Klettergerüst für Kinder sei. Natürlich hat man alle gefährlichen Teile abgebaut, das Glas wurde durch Plastik ersetzt, scharfe Kanten abgeschliffen. Trotzdem ist das Ding riesig, beeindruckend. Genau das Richtige für kleine Kinder, die keine Angst haben und meinen, fliegen zu können, wenn man sie nur ließe. Ich habe gesehen, wie Kinder die vielen Leitern hinaufkletterten, die zu verborgenen Plätzen auf der Lok führen. Die Kinder spielten ein selbst erdachtes Spiel, dass sie Zugüberfall nannten und für das es viele Regeln gab, die meisten davon unausgesprochen und oft erst mitten im Spiel erfunden. Ich habe gesehen, wie sie von ganz oben hinuntersprangen und mit einem dumpfen Geräusch, das in meinen Ohren verdächtig nach gebrochenen Knochen klang, auf dem Boden landeten. Doch jedes Mal waren die Kinder sofort wieder auf den Beinen und klopften sich den Dreck vom Hosenboden, so als wäre das alles gar nichts.
    Ich klettere auch auf den höchsten Punkt der schwarzen Lok und halte Ausschau nach irgendeinem Zeichen von Petra oder Calli. Zum ersten Mal fühle ich die Aufregung, die die Kinder hier oben fühlen müssen. Als ob man auf einem Turm stünde, von dem aus es nur noch einen Weg gibt – den nach unten. Es ist eine atemberaubende Erfahrung, und ich fühle, wie mir die Knie weich werden, während ich mich umschaue. Sie sind nirgends zu sehen. Ich setze mich rittlings auf die Lok. Ich schaue auf meine Hände, staubig vom Ruß, der so mit dem Metall verbunden ist, dass er nie ganz abzuwaschen sein wird.

Petra
    In der Nacht, als Petra geboren wurde, bin ich bei Fielda im Krankenhaus geblieben. Ich habe sie nicht für eine Sekunde aus den Augen gelassen. Ich hatte es mir in einem gemütlichen Stuhl neben ihrem Bett bequem gemacht. Der Luxus der Geburtsstation hatte mich überrascht: die gedämpften Farben der Wände, die Lichter, die nach Bedarf gedimmt werden konnten, das Badezimmer mit dem Whirlpool. Es gefiel mir, dass Fielda in einer so schönen Umgebung unser Kind zur Welt bringen würde, betreut von einer erfahrenen Hebamme, die eine fähige Hand auf Fieldas schweißnasse Stirn legte und ihr ermutigende Worte ins Ohr flüsterte.
    Ich bin in Missouri geboren, auf einer Schweinefarm, so wie meine sieben jüngeren Brüder und Schwestern auch. Mir waren die Geräusche einer Geburt nur zu
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