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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt
Autoren: Cherry Wilder
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besser, er arbeitet wieder halbtags als Ladungskontrolleur in der Neuen Grube.“
    Da wußte ich, wie meine Strafe gemildert worden war; sie war anstelle von Entgelt abgearbeitet worden. Morritt hatte alles gegeben, was sie zu geben hatte: ihre eigene Kraft; sie hatte die ganze Zeit für die Familie des Aufsehers geschuftet, um mir zur Freiheit zu verhelfen. Sie hatte nichts von meiner Flucht aus Itsik erfahren, aber das war nicht ungewöhnlich; die Gefängnisbehörden ließen sich lange Zeit, ehe ein Gefangener als verloren verbucht wurde.
    „Komm herein“, sagte Morritt. „Es sind wirklich keine üblen Leute. Niemand richtet dich.“
    Trotzdem fühlte ich mich demütig und beschämt. Was für einen Sinn hatte es, ein Kind des Schicksals zu sein und Abenteuer auf See und zu Land zu erleben, wenn es auf Kosten von jemandem geschah, den ich liebte? Ich entrichtete der Familie der Tennroy ans ein Entgelt und brachte es über mich, Tenn, dem ehemaligen Aufseher, die Hand zu geben, und nahm Morritt wieder in die Stadt mit. Aber es dauerte eine Zeitlang, bis ich von meinen Fahrten und den Wundern, die ich gesehen hatte, erzählen konnte, und wir wieder das Halbhaus in der Zinnstraße bewohnten. Morritt war erfreut und stolz, als ich ihr von meinen Abenteuern erzählte; wir sprachen von dem Alten Horn, wie er die Geschichte genossen hätte, und zündeten zu seinem Andenken eine Kerze an. Was Morritt am meisten erfreute, war die Tatsache, daß ich schon so bald zurückgekehrt war.
    Ich ging nicht in die Minen zurück. Ich hatte den Geschmack daran verloren. Ich ging zum Kai und fuhr mit der Fischerflotte als Matrosin aus. Ich arbeitete auf diesem oder jenem Schiff und erwarb das Recht, eine Seefahrerkordel um meinen Hals zu tragen. Es war sehr beruhigend, wieder eine Privatperson zu sein: nicht mehr in der Öffentlichkeit zu reden, nicht mehr als Dolmetscherin bezeichnet zu werden. Die Menschen fehlten mir sehr; ich sehnte mich so oft nach ihnen, daß Morritt mich drängte, nach Sarunin zu segeln oder zu wandern, um sie zu besuchen, und ich nahm mir das für Mittjahr vor.
    Häufig besuchten wir den Abgesandten, Tsorl-U-Tsorl, der wieder in seiner Unterkunft am Kanaldamm wohnte, ein Politiker im Ruhestand, weiter nichts mehr. Er gab kund, daß er sein Bein bei dem Absturz einer Flugmaschine verloren habe. Er zog Legenden an; bald war bekannt, daß er ein Freund der Fremden in Sarunin war, daß er in ihrem Luftschiff mitgeflogen war, daß er zu den Sternen und zurück geflogen war. Ich war mit ihm allein über das Gelände des alten Tsatroy-Palastes gegangen, und ich spürte, daß nichts merkwürdiger sein konnte als die wahre Geschichte von Tsorl-U-Tsorl.
    Aus dem Frühling war Sommer geworden, und nicht lange vor Mittjahr ging ich eines Morgens den Kai entlang, als jemand meinen Namen rief. Ich drehte mich um, und es war der Seilmeister von dem Salzschiff Gvalo. Inzwischen kannte ich seinen Namen, Ogaro Dyall oder Dyall der Segelmeister, denn ich hatte mich bei den Seefahrern nach ihm erkundigt. Da stand er, groß, hübsch, mit seinem zu einem langen Zopf geflochtenen dunkelroten Haar und seinen meeresgrünen Augen. Wir starrten uns an, und ich fühlte ein Lächeln auf meinem Gesicht, das nicht weichen wollte; ich war so glücklich, ihn wiederzusehen. Für uns beide als Paar war plötzlich Frühling.
    Wir kannten den Faden, der nicht zerrissen werden sollte, und seitdem sind wir nur selten getrennt gewesen. In jenem ersten Winter legten wir unsere Ersparnisse zusammen und kauften unser erstes Schiff, einen winzigen Frachter namens Ubin oder Einfisch, und wir segelten zum Landungsplatz von Sarunin, was einer Heimkehr glich.
    Dyall hat sich oft beklagt, daß ich für eine Waise, für ein Kind der Stadt, zu viele Familien hätte. Er zum Beispiel habe nur eine, eine anständige Fünf, die immer noch in dem Dorf Thig hinter Rintoul wohne und sich dort vermehre. Er ist einer der Albernen Fischer von Thig, die in die Runenbänder von Torin als Steller törichter Fragen eingegangen sind.
    Das ist das Ende meines Teils der Geschichte. Ich habe einen Frühling und einen Sommer benötigt, um sie niederzuschreiben, und der Grund dafür, daß ich mich so lange von dem Meer und von Dyall, meinem geliebten Partner, ferngehalten habe, hätte mich vielleicht selbst am meisten überrascht, wenn ich in Itsik oder auf Tsabeggan daran gedacht hätte.
    Ich sitze hier in einem Turm der sogenannten Neuen Akademie bei Rintoul, auf jener Insel
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