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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall
Autoren: Lawrence Norfolk
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dem Priester vereinbart.«
    Beklommenheit überkam Ben. »Ich zahl mehr«, sprudelte es aus ihm heraus. Aber Joshs Miene verfinsterte sich.
    »Nicht mit mir«, sagte er kurz angebunden. »Ich hab es mit Handschlag abgemacht.«

    Er zog am Zügel, und die Pferde setzten sich in Bewegung. Der schmale Körper des Jungen schaukelte hierhin und dorthin. Hufe klapperten über die Brücke, als die Tiere davontrabten.
    Widerstreitende Gefühle stiegen in Ben auf. Er würde das Bündel ins Wasser werfen, beschloss er. Behaupten, er hätte es nie gesehen. Nur Palewick würde Bescheid wissen. Und dieser Junge, wer immer er sein mochte. Und dieser Scovell, wenn Palewick es ihm erzählte. Und der dunkelhäutige Mann, der ihm in Soughton den Auftrag gegeben hatte. Dieser Maure oder Jude oder was auch immer. Almery ...
    Er hätte Soughton nie verlassen sollen. Sich nie tropfnass mit wundgelaufenen Füßen auf einer vom Regen gepeitschten Brücke am Eingang des Tals von Buckland einfinden sollen. Das warme Hinterzimmer des Dog verschwand zusammen mit Joshs Pferden. Und mit einem Mal ergriff Ben die Gurte des Bündels und schulterte es wieder.
    »Warte!«, rief er durch den Regen. Er stolperte über die Holzbohlen. Joshua Palewick drehte sich um, mit undurchdringlicher Miene.
    »Ich kenne den Weg nicht«, gestand Ben.
    »Dachte ich mir.«
    »Ich war noch nie hier.«
    Der Ältere maß Ben mit dem Blick. Und dann war es, als schwände ein böser Einfluss. Als wäre das dunkle Dorf mit seiner rußgeschwärzten Kirche schon in weiter Ferne und das Gutshaus von Buckland ganz nah. Als wäre das lange Tal nur ein Spaziergang. Die Andeutung eines Lächelns spielte auf den Zügen des Treibers.
    »Ich hab dich oben vom Dorf aus gesehen«, sagte Josh. »Dachte mir, du willst von einer von den Sänften aus Soughton mitgenommen werden. Du bist von dort, stimmt’s?«
    Ben sagte, so sei es.
    »Wir gehen zusammen, wenn’s dir recht ist«, sagte der Treiber. »Werden sehen, ob wir uns vertragen.«
    Ben nickte eifrig; dann blickte der Ältere zu dem Jungen zurück. »Der da kommt zum Gutshaus, genau wie dein Bündel. Pass für mich auf ihn auf. Einverstanden?«

    Beide blickten zurück. Der Junge hielt sich auf dem Maultier im Gleichgewicht und hatte sich umgedreht, um hinter sich zu sehen. Ben Martin folgte seinem Blick, am Dorf vorbei und die überwucherten Berghänge hinauf bis zu der dunklen Wand aus Bäumen auf dem Gipfel.
    »Da haben sie ihn gefangen«, sagte Josh. »In Bucclas Wald.«

    Sie liefen, so schnell sie konnten, aus der Hütte hinaus und über die dunkle Wiese, und Johns Herz pochte in seiner Brust, und Angst wühlte in seinen Eingeweiden. Neben ihm hielt seine Mutter den schweren Sack mit einer Hand gepackt und umklammerte mit der anderen Johns Handgelenk; das lange Gras peitschte ihre Beine, als sie dem sicheren Hort der Abhänge entgegenhasteten. Hinter ihnen erklang der Singsang der Meute lauter.
    Honig aus der Bienenwabe! Trauben von dem Rebenstock!
Komm raus, du Hexe, komm und trinke deinen Doppelbock!
    Der beißende Geruch des Rauchs von Talglichtern durchzog die warme Nachtluft. Das Klappern von Töpfen und Pfannen mischte sich mit dem Gegröle der Dörfler. John spürte, wie der Griff seiner Mutter fester wurde und ihn mitriss. Er hörte, wie der Sack ihr schwer gegen die Beine schlug, hörte ihren rasselnden Atem. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Sie erreichten den Wiesensaum und hievten sich die erste Böschung hinauf.
    Terrassen teilten den Abhang in lange flache Stufen. Sie kletterten, dann rannten sie, dann kletterten sie wieder. Der Lärm der Meute verfolgte sie in anschwellenden und abebbenden Wellen. Mit jedem Schritt wich Johns Angst. Bald erhoben sich rings um sie gespenstische Polster aus Stechginster und Buschwerk, und Grasgerüche erfüllten die Nachtluft. John blickte zu den Bäumen von Bucclas Wald hinauf.
    Hierher kamen die Dörfler nie. Sie sagten, die alte Buccla habe das
ganze Tal mit ihrem Fest verhext. Bis der heilige Clodock gekommen sei und ihre Tische aus Kastanienholz zerhackt habe. Und seitdem bereiteten die Dörfler ihr einmal im Jahr ebenfalls ein Fest.
    Heute war dieser Abend.
    Seine Mutter kletterte weiter, bewegte sich sicheren Schritts durch die engen Lücken und Zwischenräume. John lief hinter ihr. In dem Sack, den sie festhielt, steckte das Buch, das sie im letzten Augenblick vor ihrer Flucht vom Kaminsims genommen hatte. Er schlüpfte an den dornigen Ranken vorbei, zwängte sich durch
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