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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall
Autoren: Lawrence Norfolk
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es auf dem Dach gewesen, dachte sich John. Er hatte die Fackel geschwungen und die Dörfler angestachelt. Bis Pater Hole sie weggejagt hatte. Bei der Erinnerung daran, wie der alte Priester ihnen Kopfnüsse verpasst hatte, musste er lächeln. Er sah zu seiner Mutter auf, doch ihr Gesicht war wie eine Maske. Unten trotteten die letzten Fackelträger davon. Als alle verschwunden waren, drehte seine Mutter sich zu ihm um.
    »Wir werden jede Woche den Gottesdienst besuchen«, sagte sie. »Ich werde eine Haube tragen wie die anderen Frauen.« Sie versuchte zu lächeln. »Du kannst mit den anderen Kindern spielen.«

    John, John, der Hexensohn!
Duckt ihn und zwickt ihn und jagt ihn davon!
    Das war ihr Zeitvertreib nach der sonntäglichen Bibelstunde. Sobald der alte Holy das letzte Amen sprach, war John aus der Kapelle und zur Tür hinaus geeilt, über die Mauer des Kirchhofs von St. Clodock’s geklettert und so schnell gelaufen, wie seine Beine ihn trugen.
    John, John, der Mohrensohn!
Schwärzt sein Gesicht und gebt kein Pardon!
    Seit der Flucht den Berghang hinauf waren zwei Sommer vergangen. Er war größer und kräftiger als das Kind, das die Terrassen zu Bucclas Wald hinaufgeklettert war. Aber das galt auch für seine Verfolger.
    Ephraim Clough führte sie an, wie üblich. Dando Candling und Tobit Drury kamen als Nächste, gefolgt von Abel Starling und Seth Dare. Die Mädchen hüpften kreischend hinterher. John rannte an dem alten Brunnen vorbei, über die kahlen Flecken von Sankt Clods Tränen zum Teich, störte die Enten auf und brachte die Gänse der Fentons zum Zischen. Die Dörfler, die Wasser holten, blickten auf und schüttelten missbilligend den Kopf. Susan Sandalls Sohn war mal wieder unterwegs.
    Er rannte über den Dorfanger, mit Armen wie Dreschflegel und pochendem Herzen. Als er an dem Obstgarten der Chaffinges vorbeilief, schrie Tom Hob seine Verfolger an. Aber niemand hörte auf Tom. Hinter den Obstbäumen gähnte der hintere Weg, ein von hohen Hecken eingefasster schattiger Tunnel. Als John der Mündung entgegenlief, traf etwas krachend gegen seinen Schädel. Ein stechender Schmerz wallte von seinem Hinterkopf auf. Ein Wurfgeschoss von Abel, dachte er. Von dem Meistersteinwerfer Bucklands.
    Er stolperte, und hinter ihm wurde gejohlt. Doch im nächsten Augenblick war er wieder auf den Beinen. Er lief um sein Leben. Seine Verfolger fielen zurück.
    Als er zum ersten Mal mit ihnen zu spielen versuchte, hatten sie
ihn zu Huxtables Scheune gelockt, wo der Misthaufen wartete. Wie er so töricht gewesen sein könne, dort hineinzufallen, hatte seine Mutter ihn gefragt. In der Woche darauf hatten Ephraim und Tobit versucht, ihn in die Brombeerbüsche zu stürzen. Hexen bluteten nicht, hatte Ephraim erklärt. Ihre Söhne seien genauso beschaffen. Dieses Mal hatte er sich befreien können, aber am folgenden Sonntag hatten sie ihn über den alten Brunnen gehängt, und Ephraim hatte einen Eimer voll Wasser hochgezogen und gedroht, John die dunkle Flüssigkeit einzuflößen.
    Der säuerliche Geruch hatte sein Gesicht wie ein nasses Leichentuch umfangen. Gelüstet es dich nach einer Schale Hexenblut, John? Die Hexe hatte den Boden unter dem Dorfanger vergiftet, das predigte Aufseher Marpot. Deshalb stank das Wasser. Tobit und Ephraim hatten versucht, gewaltsam seinen Mund zu öffnen. An jenem Tag hatte ihn nur Tom Hob gerettet, der mit erhobenem Holzkrug angerückt kam und die anderen mit einem Schwall von Flüchen verjagte. An jedem folgenden Sonntag war John weggelaufen.
    In seinem Kopf tobte ein pochender Schmerz. Er spürte, wie die Beule schwoll, als er über den Zauntritt in das Zwei-Morgen-Feld kletterte. Üblicherweise hing eine tote Krähe an der Vogelscheuche, doch an diesem Tag war der Galgen leer. Er roch die frisch umgegrabene Erde in der warmen Frühlingsluft. Die Landstraße war still. Offenbar hatten seine Verfolger aufgegeben.
    Die Mädchen ließen immer als Erste von der Verfolgungsjagd ab: Meg und Maggie Riverett, die Clough-Schwestern, Peggy Rawley, Abel Starlings Schwester Cassie. Die Jungen hielten länger durch, und Ephraim teilte sie in Rudel ein, die John davon abschneiden sollten, Sicherheit in der Hütte seiner Mutter zu finden.
    John trabte am Rand des Felds entlang. Am anderen Ende blickte er zurück. Im dichten Gebüsch hörte er Frühlingswasser in den alten Steintrog plätschern. Er kannte einen Geheimweg durch die Hecke. Bald würde er oben auf der Böschung sein, auf der Wiese und
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