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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Republik zu führen. Ohne einen Centavo zu verlangen! Es gab noch solche Männer bei den marines. Ohne etwas zu verlangen oder die Hand aufzuhalten! Was für eine Lektion für die Blutsauger des Senats und des Abgeordnetenhauses, die er seit so vielen Jahren mästete, die immer mehr Schecks, mehr Konzessionen, mehr Dekrete, mehr steuerliche Befreiungen verlangten und sich jetzt, da er sie brauchte, taub stellten.
    Er sah auf die Uhr: noch vier Minuten. Ein großartiger Gringo, dieser Simon Gittleman! Ein echter marine. Er gab seine Geschäfte in Arizona auf, empört über die vom Weißen Haus, von Venezuela und der OAS eingeleitete Offensive gegen Trujillo, und bombardierte die nordamerikanische Presse mit Briefen, in denen er daran erinnerte, daß die Dominikanische Republik während der Ära Trujillo ein Bollwerk des Antikommunismus gewesen war, der beste Verbündete der Vereinigten Staaten in der westlichen Welt. Damit nicht zufrieden, gründete er – und das mit Mitteln aus seiner eigenen Tasche! – Unterstützungskomitees, sorgte für Publikationen, organisierte Vorträge. Und kam, um ein Beispiel zu geben, mit seiner Familie
    nach Ciudad Trujillo und mietete ein Haus an der Uferpromenade. Heute mittag würden Simon und Dorothy mit ihm im Regierungspalast essen, und der ehemalige marine würde den Verdienstorden Juan Pablo Duarte erhalten, die höchste dominikanische Auszeichnung. Ein echter marine. jawohl!
    Punkt vier Uhr, jetzt ja. Er knipste die Nachttischlampe an, schlüpfte in die Hausschuhe und stand auf, ohne die frühere Beweglichkeit. Die Knochen taten ihm weh, und er spürte schmerzhaft die Muskeln der Beine und des Rückens, wie vor kurzem im Mahagonihaus, in der verfluchten Nacht mit dem kleinen spröden Mädchen. Vor lauter Verdruß knirschte er mit den Zähnen. Er ging zum Stuhl, auf dem Sinforoso ihm seine Sportkombination und seine Turnschuhe hingelegt hatte, als ein Verdacht ihn innehalten ließ. Beklommen musterte er das Laken: der formlose kleine Fleck von gräulicher Farbe entstellte das weiße Leinen. Es war ihm wieder passiert. Die Empörung löschte die unangenehme Erinnerung an das Mahagonihaus aus. Scheiße! Verdammte Scheiße! Das war kein Feind, dem er den Garaus machen konnte wie den Hunderten, den Tausenden, denen er im Lauf der Jahre die Stirn geboten, die er besiegt hatte, indem er sie gekauft, eingeschüchtert oder umgebracht hatte. Er lebte in seinem Innern, Fleisch von seinem Fleisch, Blut von seinem Blut. Er zerstörte ihn gerade jetzt, da er mehr Kraft und Gesundheit brauchte denn je. Das Klappergestell von Mädchen hatte ihm Pech gebracht.
    Er fand alles makellos gewaschen und gebügelt vor, die Hosenträger, die Shorts, das Hemd, die Sportschuhe. Er kleidete sich mit Mühe an. Nie hatte er viele Stunden Schlaf gebraucht; von Jugend an, in San Cristóbal oder als Aufseher in der Zuckermühle Boca Chica, hatten vier oder fünf ihm genügt, auch wenn er bis zum Morgengrauen getrunken und gevögelt hatte. Seine Fähigkeit, sich mit einem Minimum an Ruhe körperlich zu regenerieren, hatte seinen Nimbus als höheres Wesen befördert. Damit war es vorbei. Er erwachte müde, nach kaum vier Stunden Schlaf; meistens waren es nur zwei oder drei, und das durch Alpträume aufgeschreckt.
    Die Nacht zuvor hatte er schlaflos im Dunkel gelegen. Durch die Fenster sah er die Kronen einiger Bäume und ein Stück sternenbesäten Himmel. In der hellen Nacht drangen bisweilen die Stimmen der alten Nachteulen zu ihm, die Gedichte von Juan de Dios Peza, von Amado Nervo, von Rüben Darío (was ihn vermuten ließ, daß der Lebende Dreck bei ihnen war, der Darío auswendig kannte), die Zwanzig Liebesgedichte von Pablo Neruda und die pikanten Stanzen von Juan Antonio Alix deklamierten. Und natürlich die Verse von Doña Maria, der dominikanischen Schriftstellerin und Moralistin. Er lachte, während er auf das Heimfahrrad stieg und in die Pedale zu treten begann. Seine Frau hatte die Sache schließlich ernst genommen und organisierte von Zeit zu Zeit im Rollschuhpavillon der Villa Radhamés literarische Abende, zu denen sie Vortragskünstlerinnen einlud, die idiotische Verse aufsagten. Der Senator Henry Chirinos, der sich als Dichter gebärdete, pflegte an diesen Soireen teilzunehmen, dank deren er seine Zirrhose auf Kosten der Staatskasse pflegte. Um sich bei Maria Martínez beliebt zu machen, hatten diese blöden Vetteln, wie Chirinos selbst, ganze Seiten der Moralischen Meditationen oder lange
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