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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks
Autoren: Mario Vargas Llosa
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obwohl sie sich erinnert, daß das Grau seiner Wände kräftig war; jetzt ist es verblaßt und voller Flecken und abgeblätterter Stellen. Der Garten hat sich in ein Dickicht aus Unkraut, welkem Laub und vertrocknetem Gras verwandelt. Seit Jahren wird ihn niemand begossen oder beschnitten haben. Da ist der Mangobaum. War das der Flamboyant? Er muß es gewesen sein, als er Blätter und Blüten hatte; jetzt ist er ein Stamm mit nackten, verdorrten Armen. Sie lehnt sich gegen die durchbrochene Eisentür, die zum Garten führt. Der kleine Fliesenweg mit dem in den Fugen sprießenden Unkraut ist verfallen, und auf der Terrasse, unter dem Vordach, steht ein schiefer Stuhl mit einem kaputten Bein. Die Möbel mit ihren Bezügen aus gelber Kretonne sind verschwunden. Auch die kleine Mattglaslampe an der Ecke, die die Terrasse beleuchtete und am Tag die Schmetterlinge anzog und in der Nacht summende Insekten. Dem kleinen Balkon ihres Schlafzimmers fehlt die malvenfarbene Bougainvillea, die ihn überdeckte; er ist ein Vorsprung aus Zement, mit rostigen Flekken.
    Im hinteren Teil der Terrasse öffnet sich mit anhaltendem
Knarren eine Tür. Eine weibliche Gestalt in weißer Uniform
betrachtet sie neugierig:
»Suchen Sie jemanden?«
    Urania bringt kein Wort hervor; sie ist zu aufgeregt, bewegt, verschreckt. Sie steht stumm und schaut die Unbekannte an.
    »Womit kann ich Ihnen dienen?« fragt die Frau. »Ich bin Urania«, sagt sie schließlich. »Die Tochter von Agustín Cabral.«

    II

    Er wachte auf, gelähmt vom Gefühl einer Katastrophe. Reglos blinzelte er in der Dunkelheit, gefangen in einem Spinnennetz, kurz davor, von einem haarigen Tier voller Augen verschlungen zu werden. Endlich konnte er die Hand zum Nachttisch ausstrecken, auf dem er den Revolver und die Maschinenpistole mit dem eingelegten Magazin aufbewahrte. Aber statt nach der Waffe griff er nach dem Wecker: zehn Minuten vor vier. Er atmete auf. Jetzt war er völlig wach. Alpträume, schon wieder? Er hatte noch ein paar Minuten; als Pünktlichkeitsfanatiker sprang er nicht vor vier aus dem Bett. Keine Minute früher oder später.
    >Der Disziplin verdanke ich alles, was ich bin<, dachte er. Und diese Disziplin, Kompaß seines Lebens, verdankte er den marines. Er schloß die Augen. Die Zulassungsprüfungen in San Pedro de Macorís für die Dominikanische Polizei, die die Yankees im dritten Jahr der Besetzung zu schaffen beschlossen hatten, waren extrem hart. Er bestand sie ohne Schwierigkeiten. Im Zuge der Ausbildung schied die Hälfte der Anwärter aus. Er genoß jede Übung, bei der Beweglichkeit, Entschlossenheit, Risikobereitschaft oder Widerstandskraft gefragt waren, selbst die brutalen, bei denen es darum ging, Willensstärke und Gehorsam gegenüber dem Vorgesetzten unter Beweis zu stellen: sich mit voller Montur in den Morast werfen oder im Wald überleben, indem man den eigenen Urin trank und sich von Pflanzenstengeln, Gräsern und Heuschrecken ernährte. Seargent Gittleman hatte ihm die höchste Note gegeben: »Du wirst es weit bringen, Trujillo.« Er hatte es weit gebracht, ja, dank dieser erbarmungslosen, Helden und Mystikern abgeschauten Disziplin, die die marines ihm beigebracht hatten. Er dachte mit Dankbarkeit an den Unteroffizier Simon Gittleman. Ein loyaler, uneigennütziger Gringo in diesem Land von Raffzähnen, Blutsaugern und Idioten. Hatten die Vereinigten Staaten in den letzten einunddreißig Jahren einen aufrichtigeren Freund gehabt als ihn? Welche Regierung hatte sie in der UNO mehr unterstützt? Wer war der erste gewesen, der Deutschland und Japan den Krieg erklärt hatte? Wer schmierte die Repräsentanten, Senatoren, Gouverneure, Bürgermeister, Anwälte und Journalisten der Vereinigten Staaten mit mehr Dollar? Der Lohn: die Wirtschaftssanktionen der OAS, um dem Negerlein Rómulo Betancourt zu Gefallen zu sein und weiter an das venezolanische Erdöl zu kommen. Wenn Johnny Abbes seine Arbeit besser gemacht und die Bombe der Schwuchtel Rómulo den Kopf abgerissen hätte, gäbe es keine Sanktionen und die dämlichen Gringos würden ihm nicht mit staatlicher Souveränität, mit der Demokratie und den Menschenrechten auf die Nerven gehen. Aber dann hätte er nicht entdeckt, daß er in diesem Land von zweihundert Millionen Idioten einen Freund wie Simon Gittleman hatte. Imstande, von Phoenix, Arizona, aus, wo er seit seinem Abschied von den marines seinen Geschäften nachging, einen persönlichen Feldzug zur Verteidigung der Dominikanischen
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