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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Hispaniola. Und dann kehrt.
    >Calle César Nicolás Penson, Ecke Galván<, denkt sie. Würde sie hingehen oder nach New York zurückkehren, ohne einen Blick auf ihr Haus geworfen zu haben? Du wirst eintreten und die Krankenschwester nach dem Invaliden fragen und zum Schlafzimmer und zur Terrasse hinaufgehen, auf die man ihn schiebt damit er dort seinen Mittagsschlaf hält, auf diese Terrasse die rot war vor lauter Flamboyantblüten. »Hallo, Papa. Wie seht es dir, Papa. Erkennst du mich nicht? Ich bin Urania. Natürlich wie sollst du mich erkennen. Das letzte Mal war ich vierzehn, und jetzt bin ich neunundvierzig. Eine Menge Jahre, Papa. Warst du nicht genauso alt, als ich nach Adrian ging? Ja, achtundvierzig oder neunundvierzig. Ein Mann in den besten Jahren. Jetzt wirst du bald vierundachtzig. Du bist uralt geworden Papa.« Wenn er in der Lage ist, zu denken, wird er in diesen Jahren viel Zeit gehabt haben, eine Bilanz seines langen Lebens zu ziehen. Du wirst an deine undankbare Tochter gedacht haben die fünfunddreißig Jahre lang keinen Brief beantwortete, kein Photo und keine Geburtstags-, Weihnachts- oder Neujahrsgrüße schickte, die nicht einmal, als du deinen Gehirnschlag hattest und Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen glaubten du würdest sterben, kam oder sich nach deiner Gesundheit erkundigte. Was für eine böse Tochter, Papa.
    Das kleine Haus in der César Nicolás Penson, Ecke Galván, wird keine Besucher mehr empfangen im Vestibül, wo man gewöhnlich das Bild der Jungfrau von Altagracia zusammen mit der prahlerischen Bronzeplakette aufhängte: »In diesem Haus ist Trujillo der Chef.« Oder hast du sie aufbewahrt, als Zeichen der Ergebenheit? Du wirst sie ins Meer geworfen haben wie Tausende von Dominikanern, die sie gekauft und am sichtbarsten Ort des Hauses aufgehängt hatten, damit niemand an ihrer Treue zum Chef zweifelte, und, als der Bann gebrochen war die Spuren verwischen wollten, voll Scham über das, was sie symbolisierte: ihre Feigheit. Bestimmt hast auch du sie verschwinden lassen, Papa.
    Sie ist zum Hotel Hispaniola gelangt. Sie schwitzt, ihr Herz schlägt schnell. Ein zweifacher Strom von Autos, Lieferwagen
    und Lastwagen wälzt sich über die Avenida George Washington, und ihr scheint, als hätten alle das Radio laufen und als müßte der Lärm ihr gleich das Trommelfell zerreißen. Ab und zu schiebt sich ein männlicher Kopf aus einem Fahrzeug, und einen Augenblick lang treffen sich ihre Augen mit denen des Fahrers, die ihre Brüste, ihre Beine oder den Hintern taxieren. Diese Blicke. Sie wartet auf eine Lücke, um die Straße zu überqueren, und sagt sich einmal mehr, wie gestern, wie vorgestern, daß sie auf dominikanischem Boden ist. In New York schaut niemand mehr die Frauen mit dieser Dreistheit an. Maßnehmend, abwägend, abschätzend, wieviel Fleisch jede ihrer Brüste, jeder ihrer Schenkel enthält, wieviel Haar ihr Schamhügel, wie die Kurve ihrer Hinterbacken verläuft. Sie schließt die Augen, von leichtem Schwindel erfaßt. So schauen in New York nicht einmal mehr die Latinos, die Dominikaner, Kolumbianer, Guatemalteken. Sie haben gelernt, sich zurückzunehmen, begriffen, daß sie die Frauen nicht anschauen dürfen wie Hunde die Hündinnen, Hengste die Stuten, Eber die Sauen.
    Als sich eine Lücke im Verkehr auftut, überquert sie die Straße im Laufschritt. Aber sie kehrt nicht um, geht nicht zurück zum Hotel Jaragua; statt dessen führen ihre Schritte, nicht ihr Wille, sie um das Hispaniola herum auf die Independencia, eine breite Straße, die, wenn ihre Erinnerung sie nicht trügt, mit ihrer doppelten Reihe dicht belaubter Lorbeerbäume, deren Wipfel sich über dem Fahrdamm treffen und ihm Kühle spenden, von hier aus bis zu einer Gabelung weiterführt und sich dann im Kolonialviertel verliert. Wie oft bist du an der Hand deines Vaters im rauschenden Schatten der Lorbeerbäume der Independencia gegangen. Sie spazierten von der César Nicolás Penson bis zu dieser Avenida hinunter, bis zum Independencia-Park. In der italienischen Eisdiele, rechts, am Anfang von El Conde, aßen sie ein Kokus-, Mango- oder Guyabaeis. Mit welchem Stolz gingst du an der Hand dieses Herrn – des Senators Cabral, des Ministers Cabral. Alle kannten ihn. Sie traten heran, gaben ihm die Hand, nahmen den Hut ab, verbeugten sich vor ihm, und Polizisten und Militärs schlugen die Hacken zusammen, wenn sie ihn vorbeigehen sahen. Wie sehr mußt du dich nach diesen Jahren zurückgesehnt haben, in
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