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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks
Autoren: Mario Vargas Llosa
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heftiger). Und New York hat den Ruf, laut zu sein! Nie in ihren zehn Jahren in Manhattan haben ihre Ohren etwas gehört, das sich mit dieser brutalen, mißtönenden Symphonie vergleichen ließe, in die sie seit drei Tagen eingetaucht ist. Die Sonne erleuchtet die alten Palmen mit ihren hohen Wipfeln, den kaputten Bürgersteig, der wie bombardiert wirkt mit seinen zahllosen Löchern und Abfallhaufen, die einige kopftuchtragende Frauen zusammenfegen und in zu kleinen Plastiksäcken sammeln. »Haitianerinnen.« Jetzt sind sie stumm, aber gestern tuschelten sie auf kreolisch miteinander. Ein wenig weiter vorne sieht sie die beiden barfüßigen, halbnackten Haitianer, die auf ein paar Kisten hocken, hinter sich Dutzende von Bildern in lebhaftesten Farben, die auf einer Wand verteilt sind. Es stimmt, die Stadt hat sich mit Haitianern gefüllt, womöglich das ganze Land. Das gab es damals nicht. Wie sagte der Senator Cabral? »Vom Chef mag man einmal sagen, was man will. Aber die Geschichte wird ihm zumindest das Verdienst zusprechen, daß er ein modernes Land geschaffen und die Haitianer an ihren Platz verwiesen hat. Große Übel verlangen große Lösungen!« Der Chef hatte ein kleines Land vorgefunden, das von den bewaffneten Auseinandersetzungen der Caudillos ruiniert war, ohne Gesetz noch Ordnung, verarmt, überschwemmt von seinen hungrigen, wilden Nachbarn und im Begriff, seine Identität zu verlieren. Sie durchwateten den Masacre-Fluß und kamen, um Eigentum, Tiere, Häuser zu rauben, nahmen unseren Landarbeitern die Arbeit, verdarben unsere katholische Religion mit ihren teuflischen Hexereien, vergewaltigten unsere Frauen, zerstörten unsere Kultur, unsere Sprache und unsere westlichen, spanischen Sitten, indem sie uns ihre barbarischen afrikanischen aufzwangen. Der Chef durchschlug den gordischen Knoten: »Schluß!« Große Übel verlangen große Lösungen! Nicht nur, daß er das Massaker an den Haitianern im Jahr siebenunddreißig rechtfertigte; er betrachtete es als eine Großtat des Regimes. Rettete es die Republik nicht davor, ein zweites Mal in der Geschichte von diesem raubgierigen Nachbarn entehrt zu werden? Was bedeuten fünf-, zehn-, zwanzigtausend Haitianer, wenn es gilt, ein Volk zu retten? Sie läuft rasch, erkennt die markanten Punkte: das Kasino von Güibia, jetzt ein Klub, und die Badeanstalt, heute vom Pestgestank der Kloaken erfüllt; gleich wird sie an die Ecke Uferpromenade und Avenida Máximo Gómez kommen, Parcours des Chefs bei seinen abendlichen Spaziergängen. Seitdem die Ärzte ihm gesagt hatten, dies sei gut für sein Herz, ging er von der Villa Radhamés bis zur Máximo Gómez, mit einem Zwischenstop im Haus von Dona Julia, der Erhabenen Matrone – das Uranita einmal betreten hatte, um eine Rede zu halten, die sie kaum über die Lippen brachte – , dann hinunter bis zum Malecón George Washington, bog an dieser Ecke ab und setzte seinen Weg fort bis zum Obelisken, der eine Imitation des in Washington stehenden war, mit flottem Schritt, umgeben von Ministern, Beratern, Generälen, Helfern, Höflingen, die in respektvoller Entfernung, mit aufmerksamem Blick und hoffnungsvollem Herzen auf eine Geste, eine Gebärde warteten, die ihnen erlauben würde, sich dem Chef zu nähern, ihm zuzuhören, einiger Worte würdig zu sein, und wäre es auch eine Rüge. Alles, nur nicht in die Ferne verbannt sein, in die Hölle der Vergessenen. Wie oft bist du mitgegangen, Papa? Wie oft warst du seiner Worte würdig? Und wie oft kehrtest du traurig zurück, weil er dich nicht rief, mit der Furcht, nicht mehr dem Kreis der Erwählten anzugehören, unter die Ausgestoßenen gefallen zu sein. Ständig lebtest du in der Angst, dir könnte das gleiche widerfahren wie Anselmo Paulino. Und es widerfuhr dir, Papa.
    Urania lacht auf, und ein entgegenkommendes Paar in Bermudashorts glaubt, daß es gemeint sei. »Guten Tag.« Aber sie lacht nicht über die beiden, sondern über das Bild des Senators Agustín Cabral, der jeden Abend zwischen den Luxusbediensteten über diese Uferpromenade trabt, voller Aufmerksamkeit, nicht für die warme Brise, das Rauschen des Meeres, die Akrobatik der Möwen oder die leuchtenden Sterne der Karibik, sondern für die Hände, die Augen, die Bewegungen des Chefs, die ihn vielleicht rufen, ihm vor den anderen den Vorzug geben würden. Sie ist zur Landwirtschaftsbank gelangt. Danach wird die Villa Ramfis kommen, in der noch immer das Außenministerium untergebracht ist, und das Hotel
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