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Das Feenorakel

Titel: Das Feenorakel
Autoren: Jeanine Krock
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Fragen zu löchern. Im Grunde war ja auch alles gesagt. Nach dem merkwürdigen Rauswurf hatte Alva sich nicht anders zu helfen gewusst, als ihn um Hilfe zu bitten. Sie kannte seine Wohnung und hatte deshalb ein schlechtes Gewissen, denn viel Platz würden sie zu zweit darin nicht haben. Doch der Umschlag, den ihr Vater ihr in die Hand gedrückt hatte, enthielt einen großzügigen Scheck. Damit würde sie nicht nur die nächsten Monate über die Runden kommen, sondern sich auch ein kleines Zimmer leisten können. Selbst wenn die Mieten in einer Studentenstadt wahrscheinlich nicht günstig waren. Alva hatte sich vorgenommen, schnell eine eigene Unterkunft zu finden und auch einen Job. Auf diese Weise würde sie das Geld ihres Vaters für Notfälle zurücklegen können.
    Gegen Abend erreichten sie die Stadt. «Wo fährst du denn hin?» Auf dieser Straße ging es ganz sicher nicht zu seiner Wohnung.
    «Wart’s nur ab! Ich habe dir ja eine Überraschung versprochen.» Ihm war anzusehen, dass er nicht mehr verraten würde.
    Alva verschränkt die Arme vor der Brust und sank tiefer in ihren Sitz. Sie wusste nicht, was jetzt kommen würde, aber bei Tom musste man immer mit allem rechnen. Prüfend sah sie ihn von der Seite an und fand, dass er sich verändert hatte. Linien waren in dem ebenmäßigen Gesicht, die sie vorher noch nie gesehen hatte und für die er eigentlich auch viel zu jung war. Tom wirkte erschöpft und gleichzeitig aufgekratzt wie ein junger Hund. Ob er krank ist?, fragte sie sich besorgt.
    «Wir sind gleich da!» Seine Stimme klang wie immer.
    Sie hatten die Innenstadt erreicht. Ein aufgeregtes Kribbeln breitete sich in ihrem Bauch aus und sie vergaß die Sorge um ihn, während er sich mit seinem Auto zwischen Touristengruppen hindurchschlängelte, die an diesem schönen Spätsommertag in den schmalen Straßen flanierten und so sehr damit beschäftigt waren, die kleinen Geschäfte oder die alten Häuserfassaden zu betrachten, dass sie erschrocken zur Seite sprangen, wenn er mit einem teuflischen Grinsen laut hupte. Alva wollte gerade etwas sagen, da bog er in eine schmale Einfahrt ein und parkte gleich darauf unter einem großen Baum. «Und?», er sah sie erwartungsvoll an.
    «Was und?»
    Tom zeigte nach oben, wo in der ersten Etage ein kleiner Balkon zu sehen war. «Das ist dein neues Zuhause. Gefällt es dir?»
    «Viel habe ich bisher noch nicht gesehen.»
    «Dagegen lässt sich was unternehmen. Komm schon!»
    «Du bist ja verrückt. Hier mitten in der Stadt, das ist doch unbezahlbar!» Trotzdem stieg sie aus und folgte ihm zu einer unauffälligen Eingangstür, die er wie selbstverständlich aufschloss.
    «Mein Cello ...»
    «... holen wir gleich!»
    Alva sah sich kurz unsicher um, folgte ihm dann aber eine steile Treppe hinauf in den ersten Stock. Als sie an Tom vorbei in den hell erleuchteten Flur blickte, von dem mindestens sechs Türen abgingen, wurde ihr klar, dass er ihr ein WG-Zimmer besorgt hatte. Nicht in seinem kleinen Apartment wohnen zu müssen erleichterte sie einerseits, andererseits war sie auch ein bisschen enttäuscht. Warum wollte er sie plötzlich auf Abstand halten?
    Tom schien nicht gemerkt zu haben, welch widersprüchliche Gefühle sie hinter einer möglichst neutralen Miene zu verbergen versuchte. Er zog sie an sich und küsste sie. Nicht wie man eine Schwester küsste, sondern vielmehr wie eine Geliebte, die Alva in einem Anfall von Schwäche im letzten Winter tatsächlich auch beinahe geworden wäre.
    Im Grunde, sagte sie sich seither, war nichts dabei gewesen. Sie hatten geknutscht, na und? Es hatte von Anfang an zwischen ihnen geknistert und irgendwann war bei einem ihrer wenigen Wochenendbesuche in der Stadt ein bisschen mehr passiert. Sie hatte sich allein gefühlt und ohne erkennbaren Grund zu weinen begonnen.
    Tom hatte nichts gefragt, er hatte Alva einfach nur gestreichelt und zärtlich geküsst und als ihre Tränen getrocknet waren, hatte er nicht aufgehört.
    Seine warmen Hände auf ihrer Haut versprachen eine Sicherheit, in die sie dankbar eingetaucht war, bis mehr daraus wurde. Und als sie begriffen hatte, worauf es hinauslaufen würde, war sie selbst schon zu sehr involviert gewesen, um ihn zu stoppen.
    Er war sanft gewesen, sie hatte für einen kurzen Augenblick alles vergessen, doch ein Anruf hatte ihr geholfen, wieder zu sich zu kommen. Sie waren zwar nicht blutsverwandt, aber Alva hatte erkannt, dass sie in ihm doch immer mehr den großen Bruder gesehen hatte als
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