Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Familientreffen

Das Familientreffen

Titel: Das Familientreffen
Autoren: Anne Enright
Vom Netzwerk:
schlechteste Ende.
    Und so tritt sie hinaus in den Lärm und das Licht der Grafton Street, und als die Busse an ihr vorüberrasen, ist sie wieder ein Kind.
    Ada mit ihrem Koffer, an dem Tag, an dem ihre Mutter starb.
    Wie sie sich umdrehte und den Koffer aus dem Haus trug. Und alles, was ihr bis dahin unmöglich vorgekommen war, von da an war es möglich. Sie war mit Füßen gesegnet, mit denen sie einen Schritt vor den anderen tat, sodass sie aus dem Haus treten konnte, und sie war mit Händen gesegnet, mit denen sie sich durchs Leben schlug, ohne je zurückzublicken.

39
    Am Flughafen von Gatwick gibt es ein Hotel, in dem Sie den Rest Ihres Lebens verbringen könnten. Dort könnten Sie wohnen bleiben, bis man Sie fände, und finden würde man Sie nie – wie sollte man auch? Von den Tabletts, die in den Korridoren abgestellt sind, könnten Sie altbackene Croissants stehlen, im Handwaschbecken könnten Sie Ihre Unterwäsche waschen und, wenn der Reinemachewagen vorüberrollt, von Zimmer zu Zimmer schlüpfen.
    Das Hotel hat ein Thermalbad. Das sah ich bei der Anmeldung. Ich ging wieder zurück zu den Läden im South Terminal und kaufte mir einen Badeanzug. Und auch Socken und Slips sowie eine Tasche, in die ich alles hineinstopfen konnte – eine recht hübsche Tasche, ziemlich schnörkellos, aus rauem, getriebenem Leder. Und als ich zurückkehrte und mit dem elektronischen Türöffner in meiner Geldtasche an der Rezeption vorbeiging, wurde mir bewusst, dass ich gar nicht wusste, wie ich das Hotel wieder verlassen sollte.
    Es gibt drei Restaurants, jedenfalls laut Fahrstuhlwerbung, aber ich brauche keines von ihnen aufzusuchen. Ich kann mir einen Cäsarsalat aufs Zimmer bringen lassen – Cäsarsalat gibt’s immer. Kann im Zimmer umhergehen, und in diesem Zimmer ist gerade noch ausreichend Platz, um vom Bett zum Fenster zu gehen, zum Fernseher, der auf seinem Eckregal sitzt, dann hinüber zum Schreibtisch, der vor einem Spiegel steht, in dem sich auch das Bett spiegelt. Hier können Sie stehen bleiben, um sich die Informationen in dem kunstledernen Umschlag durchzulesen, danach könnten Sie zum Hosenbügler gehen und zu der Ablage mit den Leisten, auf der Sie Ihren Koffer abstellen sollen, falls Sie einen Koffer dabeihaben – die meisten Gäste in den Hotels in Gatwick haben keinen, ihr Gepäck kreist ohne sie irgendwo dort oben am Himmel. In einem Hotel in Gatwick zu nächtigen heißt nicht etwa, dass Sie angekommen sind. Im Gegenteil, es heißt, dass Sie noch eine weite Strecke vor sich haben.
    Das Foyer beherbergt die menschlichen Überreste einer Boeing 747 aus Kasachstan, die nach Ausfall eines Triebwerks eben noch in London notlanden konnte. Dies ist ihre zweite Nacht auf dem Erdboden eines verkehrten Landes, ihre Kleider sind mürbe – sie schreien geradezu nach einem heizbaren Hosenbügler -, und ihre Haut ist grau. Sie sehnen sich nach einem Bad, müssen sich jedoch mit einer Dusche zufriedengeben, aber noch nicht, denn sie haben nichts Sauberes anzuziehen. Sie werden den Kleiderschrank inspizieren und die Nachttischleuchte, und danach werden sie sich aufs Bett erst setzen, dann legen oder gar die straff sitzende Steppdecke herauszerren und hineinklettern. Nach einer Weile jedoch werden wir alle zu der vergessenen Minibar rollen, kriechen oder plumpsen und uns fragen, ob der Inhalt, ob auch nur irgendetwas darin das Geld wert ist.
    Das ist nicht England. Das ist die fliegende Stadt. Das ist Spielverlängerung.
    San Miguel, Gordon’s, Coca-Cola, Schweppes. Ich brauche etwas Passenderes – hier gibt es nichts, was passend für mich wäre. Ich nehme das überteuerte Mineralwasser und schlucke, bis sich die Plastikflasche knisternd zusammenzieht. Ich sollte hinausgehen und mir einen ganzen Liter von dem Zeug besorgen. Sollte hinausgehen und mir im Thermalbad mit Wachs die Haare entfernen lassen. Es gilt, den Rest meines Lebens zu organisieren. Ich kann den Rest meines Lebens nicht mit behaarten Beinen organisieren. Ich überlege, ob es eine Möglichkeit gibt, zum Clarin Shop in der Abflughalle zu gelangen, wo in einem kleinen Hinterzimmer eine Frau in weißem Kittel eine ernst zu nehmende Gesichtsbehandlung vornimmt, obwohl ich nach Gesichtsbehandlungen immer so gerupft aussehe. Trotzdem, ich habe wahnsinnige Sehnsucht nach einer Frau in einem raschelnden weißen Kittel, deren knetende und klopfende Finger mir wieder mein Gesicht ankleben, dort wo es Gefahr läuft, abzufallen.
    Als ich zum Dubliner
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher