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Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor
Autoren: Andreas Gruber
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Maschinenmeister, ein Eislotse, der Segelmacher, Proviantmeister und vier Matrosen. Bisher hatte ich nur zu Doc Travis, dem Schiffsarzt, Zugang gefunden – ein Brite mit unglaublicher Bildung. Der Mann besaß eine kleine Bibliothek in seiner Kajüte, aus der ich mir gelegentlich ein Buch ausleihen durfte, um mir die langen Nächte zu vertreiben.
    Schließlich klappte ich das Schreibpult zu und ging ein Deck tiefer zu den Hunden. In dem Zwinger roch es nach Stroh, Kot und Urin. Mit traurigen Augen erduldeten die Tiere das endlose Auf und Ab der Wellen. Ich wußte, wie sie sich fühlten. Ihr Anblick brach mir das Herz – mehr noch als ihr wehmütiges Winseln. Bestimmt war die lange Fahrt eine schlimme Probe für die Meute. Als die Tür aufflog und Harpun mit einem Eimer Hundekuchen die Treppe herunterkam, verstummten sie augenblicklich. Harpun, etwa in meinem Alter, war ein ungestümer Bursche, dessen Nähe mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken jagte. Wie immer musterte mich der Norweger mit diesem kalten Blick. Konnte der Mann nicht anders schauen? Zwar verabscheute ich diesen Gesichtsausdruck ebenso wie seinen Hang zum Trinken, Fluchen und Glücksspiel, aber wir hatten in Tromsø keinen erfahreneren Jäger als ihn finden können – zumindest war Hansen davon überzeugt gewesen.
    Harpun riß den Zwinger auf. Mit Fußtritten drängte er die Tiere an die Rückwand. Einer der Huskies heulte auf, doch Harpun schien es nicht zu kümmern. Lieblos leerte er den Eimer aus – einem der Hunde fiel das Fressen sogar auf den Kopf und die Schnauze.
    Ich ging in die Hocke, um den Hunden beim Fressen zuzusehen. »Wie geht es ihnen?«
    »Geht so.« Mehr sagte er nicht. Eilig warf er die Eisentür ins Schloß und stapfte nach oben.
    Wieder allein, umfaßte ich die Stangen, preßte mein Gesicht an den Zwinger und betrachtete die Tiere. »Bald seid ihr frei«, flüsterte ich. »Dann könnt ihr laufen.«
    Von Hansen wußte ich, daß man die Huskies während des Fressens nicht stören durfte, aber in Gedanken strich ich ihnen über das dichte, kräftige Fell und die schönen, schwarzen Schnauzen. Samson, der Leithund, war das prachtvollste Exemplar, vor Kraft strotzend und voll innerer Ruhe. Als wisse das Tier um meine Anteilnahme, warf es mir mit seinen blitzblauen Augen einen gelegentlichen Blick zu.
    Nach einer Weile ging ich an Deck. Die Fahrt konnte nicht mehr lange dauern. Die ersten Eisvögel umflatterten das Schiff. Sogar ein Albatros ließ sich vom Wind tragen. Vermutlich war die Küste näher als ich dachte. Am Horizont trieben die ersten Eisberge, klein und unscheinbar, auf das Schiff zu. Sobald das Mondlicht aus den Wolken hervortrat, glänzten sie wie Glassplitter im Wasser.
     
    *
     
    Um fünf Uhr morgens des nächsten Tages weckte mich der Ruf aus dem Krähennest:
    »Land in Sicht!«
    Mit rasendem Herzen stürzte ich an Deck, wo bereits Vanger, Harpun, Christianson und Jan Hansen auf mich warteten. Der große Norddeutsche strich sich durch den dichten, gelben Backenbart. »Wir haben es bald geschafft!« rief er über Deck.
    Festgeklammert an der Reling ließen wir uns die klirrende Kälte ins Gesicht blasen. Der Ausblick war phantastisch. Das Meer lag bewegt vor uns. An manchen Stellen brach die Sonne zwischen den Wolken hervor.
    Eine Stunde später erreichten wir die Bucht bei Stormbukta, den südlichsten Ausläufer von Spitzbergen. Kapitän Anderson legte das Schiff an einer dem Festland vorgelagerten Eisbarriere an. Zwei Matrosen ruderten mit einem Walfischboot an Land, wo sie zwischen den Felsen eine harte Eisscholle fanden, die gut einen Meter hoch aus dem Wasser ragte.
    Nachdem der Kapitän das Schiff nahe genug an die Scholle heran manövriert hatte, warf der Lotse den Eisanker an Land. Plötzlich kam Bewegung in die Mannschaft, von der ich ebenso ergriffen wurde. Hansen und ich sprangen mit den Ersten von Bord. Während Harpun die Hunde an ins Eis getriebene Pflöcke kettete und mit einem Eimer Fleisch ruhig hielt, halfen uns die Matrosen beim Ausladen. Hatten die dicht gestapelten Vorräte unter Deck noch reichlich gewirkt, schmolzen sie nun im Angesicht der bis zum Horizont reichenden Eiswüste zu einem winzigen Hügel.
    Dennoch – was die Ausrüstung betraf, hatten wir nichts dem Zufall überlassen. Einfach und widerstandsfähig lautete unsere Devise. Die Schlitten sollten mit Schlafsäcken aus Rentierfellen bepackt werden, Pelzfäustlingen, Schlittenanzügen, Finnenschuhen zum Schneelaufen sowie
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