Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Eulentor

Das Eulentor

Titel: Das Eulentor
Autoren: Andreas Gruber
Vom Netzwerk:
dazuzugehören.
    Als wir später eine Wassersuppe aus Zwiebackkrumen und getrockneten Zwiebeln aßen, hielt unsere gute Laune an. Nach dem Essen setzte sich Hansen auf eine Proviantkiste und begann, auf seinem Banjo zu spielen. Er war bei Gott kein begnadeter Sänger, ebenso hielt sich die Anzahl seiner Akkorde in Grenzen, doch es war die erste Musik, die wir seit langem zu hören bekamen – und wir waren alles andere als wählerisch. Harpun und Vanger sangen mit, während Christianson stumm eine Photographie von seiner Frau und seinen Kindern betrachtete. Die Aufnahme, für die er gewiß einen halben Monatslohn hingeblättert hatte, stammte von einem Stockholmer Atelier. Schließlich kramte der Schwede einige Figuren aus dem Rucksack, die ihm sein jüngster Sohn aus Knochen geschnitzt hatte. Diese auf Schnüren aufgefädelten Glücksbringer sollten wohl ihn und seine Familie darstellen.
    Während ich an einem trockenen Zwieback kaute und Hansens Liedern lauschte, wippte mein Fuß im Takt. »Wie geht es mit der Karte voran?« fragte ich nach einer Weile.
    Sogleich legte der Walfänger das Banjo zur Seite. »Schau sie dir an!« Stolz entrollte er seine Papierbögen auf einer Kiste. Ich betrachtete die eingezeichnete Route entlang des Küstenabschnitts. Neugierig scharten sich Harpun, Vanger und Christianson um uns. Obwohl wir erst siebzig Kilometer zurückgelegt hatten, ließen sich schon die ersten groben Abweichungen zu Nansens Skizze feststellen.
    Hansen bohrte den Finger in die Karte. »Falls Nansens Entwurf stimmt, müßten wir bald einen Fjord erreichen, der nach Osten weit ins Landesinnere führt.«
    Wenn sich dann bloß das Wetter bessern würde. Immerhin konnte der Sturm nicht ewig anhalten, sagte ich mir. Während Stunden später lautes Schnarchen aus den Schlafsäcken der Männer drang, schrieb ich beim Schein der Petroleumlampe die jüngsten Erlebnisse in mein Tagebuch, keine langatmigen Sätze, bloß Gedanken, Stichwörter oder kurze Notizen, denen ich allerdings einige Verse sowie eine Skizze aus dem Gedächtnis hinzufügte. Als auch ich die Lampe löschte, atmete ich befreit durch. Die Dunkelheit tat gut! Meine Lider brannten wie Feuer, doch endlich konnten sich meine Augen von diesem schier unerträglich grellen Licht erholen. Ich verkroch mich tief im Schlafsack und lauschte dem Sturm, der unaufhörlich draußen tobte.
     
    *
     
    Am nächsten Morgen erwachte ich um neun Uhr. Verwirrt setzte ich mich auf. Die anderen schliefen tief und fest, obwohl der Sturm ums Zelt heulte. Erschöpft sank ich zurück. Noch während ich überlegte, wie man nur so lange schlafen konnte, fielen mir erneut die Augen zu. Schließlich wurde ich von Christianson wachgerüttelt. Schlagartig fuhr ich hoch. Es war elf Uhr. Ich starrte in vier ängstliche Gesichter. Die Männer saßen bewegungslos da, nur der junge Schwede, der mich geweckt hatte, spielte mit seinem Glücksbringer, einem Walfischknochen, den er an einer Kette um den Hals trug.
    »Was ist …?« Ich verstummte. Der Wind pfiff ums Zelt, zerrte an der Plane. Da wußte ich, was passiert war. Der Sturm hatte sich zum Orkan ausgeweitet. Mittlerweile türmten sich die Schneewehen hüfthoch um das Zelt. Der Ausgang und die Schlitten mußten geradezu freigeschaufelt werden.
    »Ich gehe raus.« Harpun verließ freiwillig die Unterkunft.
    Kurz darauf folgten wir ihm. Bei der Inspektion der Schlittenhunde stellten wir fest, daß zwei nicht fressen wollten und einige an einer Wurmerkrankung litten. Unmittelbar darauf hörten wir drei Schüsse. Sofort hastete ich zu den angepflockten Tieren. Drei Huskies lagen reglos im Schnee. Harpun steckte soeben den Revolver weg. Noch bevor ich etwas sagen konnte, stieß er eines der toten Tiere mit dem Stiefel an.
    »Sie waren am halben Leib räudig, hätten sich nur als hinderlich erwiesen.«
    Ich stand wie angewurzelt da und war sprachlos. Wie konnte der Mann nur so mit seinen eigenen Hunden umgehen? Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zückte er sein Jagdmesser, um die Tiere zu zerlegen. Die dampfenden Eingeweide quollen aus den Bäuchen und rutschten über den Schnee. Der Anblick erinnerte mich zu sehr an das Blutbad der geschlachteten Robbe. Oh Gott, was hatte Harpun nur wieder angerichtet! Konnte der Barbar sein Messer nicht für einen Tag stillhalten?
    »Wir behalten die guten Fleischstücke, die Abfälle verteilen wir unter den übrigen Hunden.« Harpun wischte das Messer an der Hose ab.
    Ich wandte mich ab. An Hansens
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher