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Das erste Mal und immer wieder

Das erste Mal und immer wieder

Titel: Das erste Mal und immer wieder
Autoren: Lisa Moos
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Hatte mein Vater mir, seinem kleinen Mädchen, früher immer die schönsten Stunden beschert, so war mein Bruder der erklärte Liebling meiner Mutter.
    Ich öffnete die Wohnungstür, um ins Treppenhaus zu treten. Vorsichtig lauschte ich. Keine Geräusche außer dem dumpfen, tiefen Dröhnen des Heizungskessels und dem leisen Rattern der Nähmaschine von Opa Hans. Leise stieg ich die Steinstufen im Bogen zum Keller hinab. Ein paar Schritte weiter war der Vorratsraum, in dem außer unseren Kartoffeln in einer riesigen Holzvorrichtung nichts von uns eingelagert werden durfte. Ich öffnete die knarrende alte Holztür, die mittels eines Riegels verschlossen war und an eine Stalltür erinnerte. Es roch muffig. Es roch immer muffig dort, und die kleinen, mit Spinnenweben fast völlig verdeckten Lüftungsfenster taten nur schlecht ihren Dienst.
    Die Tüte raschelte in meinen Händen, und mein Herz klopfte plötzlich bis zum Hals. Ich kam mir wie ein Dieb vor, wenn ich mich dort unten bewegte, und ich hatte Angst. Wovor, das hätte ich nicht sagen können, es blieb undefiniert, aber es war unglaublich stark. Schnell stopfte ich die gewünschte Anzahl Kartoffeln in meine Plastiktüte und verließ erleichtert den mit Eingemachtem voll gestopften, finsteren Raum. Ich zog an der schweren Holztür, die Augen aber schon wieder auf die Treppe nach oben gerichtet.
    Plötzlich war er hinter mir, seine nach altem Nikotin stinkende, raue Hand auf meinem Mund, die andere zwischen meinen Beinen. Ich war starr vor Schreck, er drehte mich zu sich, und ungläubig und entsetzt schaute ich direkt in das verwitterte Gesicht von »Opa Hans«. Sein übler Atem drehte mir fast den Magen um. Bier- und Zigarettengemisch. Die Tüte fiel mir aus der Hand, er zerrte mich in sein Nähzimmer, sein Allerheiligstes, wo er täglich viele Stunden saß und nähte. Dicke, kalte Rauchschwaden hingen in dem Raum, und ich wurde fast ohnmächtig vor Angst und Beklemmung. Ich war sicher, er wollte mich umbringen, konnte mir anderes gar nicht vorstellen und begriff nicht, wieso er wild an meinem Kleidchen und meinem Schlüpfer zerrte. »Opa Hans. Opa Hans.« Dumpf und undeutlich drangen die Worte aus meinem Mund, den er mit seiner riesigen Hand verschlossen hielt.
    Er zog mich auf sein Sofabett, und ich schloss die Augen. Gewehrt, gestrampelt, gekämpft habe ich nicht. Starr vor Schreck und mit fest zugekniffenen Augen lag ich da und wusste nicht, was ich denken sollte. Es war für ihn kein Problem, 37 Kilo herumzudrehen, er legte mich auf den Rücken und setzte sich neben mich.
    »Opa Hans ist doch hier bei dir«, sagte er und lächelte mich an. Er war unrasiert und sah verwittert aus, und er kam mir mit meinen elf Jahren uralt vor. Die eine Hand ließ er auf meinem Mund ruhen, nahm nur etwas Druck weg, die andere bohrte er zwischen meine Beine. Irgendwann kam er unter meinen Schlüpfer und schob alles bis zu den Knien herunter.
    Wo und wann wir geboren werden, als Kind welcher Eltern, in welchem Land und unter welchen Bedingungen, nichts davon liegt in unserer Macht. Mit dem Tod ist es ähnlich, der Zeitpunkt, die Ursache, auch der Ort: Hier werden wir nicht gefragt. Dazwischen stapeln sich die Jahre, reiht sich eins an das andere. Wenn schon nicht der Anfang und das Ende, so bleibt uns doch die Mitte des Lebens, welche darauf wartet, von uns gefüllt, gelebt und bestimmt zu werden.
    Ein Leben, welches in unseren Händen liegen sollte.
    Ich dachte an Jennifer, meine Negerpuppe, die richtig pinkeln konnte, wenn man sie mit dem Wasserfläschchen fütterte, und fragte mich, was er dort unten anfassen wollte. Es tat mir sehr weh, wie er dort drückte und bohrte an einer Stelle, die ich eigentlich gar nicht richtig kannte. Als er sich schließlich auf mich legte, drückte sein Gewicht schwer auf mich, ich hatte Mühe weiterzuatmen. Ich fing an zu weinen, hatte Todesangst, ekelte mich vor dem Geruch, der aus seiner alten braunen Cordweste und aus seinen Poren strömte. Die irrwitzigsten Gedanken schossen mir durch den Kopf: Was, wenn die Kartoffeln nicht rechtzeitig oben sind? Ob jemand nach mir schauen würde? Ob meine Mutter vielleicht in den Keller kam? Ich brauchte vielleicht nur auszuhalten und auf Erlösung zu warten.
    Und ich hielt aus, hielt aus und weinte und schluchzte vor mich hin, während »Opa Hans« da unten was Dickes in mich hineinstopfte, schwer atmete und mit seinem Mund Küsse über mein Gesicht verteilte: »Sieh mal, ich gebe dir Bussis.« –; »Ein
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