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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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Schneemann den letzten Schliff. Vom Turme Sankt Peter und Paul schlug es Zwölf.
    Bald pochte es an der Tür, und Schiller trat herein, auch er von den grünen und blauen Siegeln des gestrigen Streits gezeichnet. »Was gibt es? Hat Knebel etwa keine Zeit? Oder keine Lust?« Schiller fand Goethe über sein Pulverhorn und ein Säckchen Bleikugeln gebeugt. »Meiner Treu, Goethe! Sie werden sich doch nicht etwa an den braven Oßmannstedtern blutig rächen wollen?«
    »Mitnichten. Der Gegner, gegen den ich mich mit diesen Pistolen wappne, ist größer als eine Handvoll Bauern. So recht betrachtet, ist es der größte Gegner, den man sich heutigentags unter allen Lebenden nur suchen kann.«
    Als Schiller begriff, dass Goethe nicht scherzte, schwand das Lächeln von seinen Lippen. »Von wem re den Sie?«
    »Vom Franzosenkaiser.«
    »Sie wollen dem leibhaftigen Napoleon die Stirn bieten?«
    Derweil Goethe weitere Utensilien auf dem Tisch ausbreitete, um zu entscheiden, welche von ihnen er seinem knappen Marschgepäck hinzufügen sollte, berichtete er seinem Freund, was ihm seinerseits von Carl August und den anderen zugetragen worden war. Schiller zog sich einen Stuhl heran und hörte aufmerksam zu.
    Als Goethe geendet hatte, fragte Schiller: »Ist’s Wahrheit, was ich jetzt gehört?«
    »Ja.«
    »Also kam ich, um Abschied zu nehmen?«
    »Nein. Um mich zu begleiten.«
    Die Männer sahen einander stumm in die Augen, bis Schiller fragte: »Wie meinen?«
    »Ich möchte Sie bitten, mich nach Mainz zu begleiten, weil ich Sie als klugen und rüstigen Streiter kenne und weil ich mir für diesen Auftrag keinen mutigeren Weggefährten wünschen könnte.«
    »Hum.«
    »Was heißt hier hum ? Sie haben doch Mut.«
    »Mut hab ich genug, um barfuß mitten durch die Hölle zu gehen – aber warum ich ? Warum Sie , wo wir schon davon anfangen? Warum wählen Carl August und dies verschleierte Bild einer Frau ausgerechnet Sie aus? Was ist’s überhaupt, das sich hinter diesem Schleier verbirgt? Und gibt es für eine solche Aufgabe von weltveränderi scher Bedeutung keine fähigeren, keine jüngeren Män ner? Beispielsweise in der herzoglich Sachsen-Weimarschen Armee? Mainz ist eine Festung.«
    »Unabweislich. Aber dies wird keine Belagerung, sondern ein Eingriff. Und da kostet’s Mühe und List; dafür braucht’s keine Soldaten, sondern Denker – gerne auch altersweise Denker«, sagte Goethe. »Zweifeln Sie etwa an der Geschichte des Dauphins?«
    »Nein. Die Historie hat mich gelehrt, dass noch viel unwirklichere Begebenheiten wirklich waren. Und, ehrlich zu sagen, ich hatte etwas in der Art bereits vermutet. Ich halte es nur für bedenklich, nein, geradezu unratsam, sich mit dem Dämon der Staatenpolitik anzulegen. Ich dachte, wir beide hätten beschlossen, der Gegenwart zu entsagen und uns nur noch dem zu widmen, was ewig ist – nämlich der Wahrheit und der Schönheit.«
    »Aber ich kann nicht tatenlos zusehen, wie Napoleon unser Reich in Brand steckt. Er hat uns Deutschen alle Gebiete links des Rheins entrissen, aus Köln Cologne gemacht, aus Koblenz Coblence und aus Mainz Mayence. Und er wird Deutschland weiter fressen.«
    Schiller lächelte. »Der Weltbürger Goethe mit einem Mal so heilig-römisch, so deutsch-national? Das sind ganz ungewohnte Töne aus Ihrem Munde.«
    »Wohl, Sie kennen mich besser: Mir ist es im Grunde gleich, ob Mayence hessisch ist oder preußisch oder pfälzisch oder eben französisch, Mainz bleibt Mainz – aber ich fürchte wie der Herzog um unser kleines Weimar, das bleiben soll, was es ist.«
    Schiller drehte seinen Stuhl, um die gekreuzten Arme auf der Lehne ablegen zu können. »Lassen Sie mich für einen Moment des Teufels Advokat sein: Käme Napole on, er schenkte unserm rückständigen Land vielleicht so manchen Fortschritt.«
    »Ein Geschenk, eingewickelt mit einem Band aus Blut und Tränen. Seinen Mordsinn kenne ich: Ein Mann, der sich nicht um das Leben von Millionen von Menschen schert; der von sich selbst sagt, es wäre besser für das Heil der Menschheit, er hätte nie gelebt – wenn ich sei nen fortschrittlichen Code Civil um den Preis unsrer Kinder Leben bekomme, dann will ich ihn nicht.«
    »Und um zu verhindern, dass der Despot den Krieg in unsern Grenzen anzündet, wollen Sie ihn durch einen anderen Despoten ersetzen. Ein Rückfall ins vergangene Jahrhundert, ins Ancien Régime.«
    »Es müsste keiner sein!«, rief Goethe aus. Er ging hinüber zum Globus, der nahe dem Fenster stand, und
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