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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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hat allen Grund, sich zu verschleiern und Fouchés Männer zu fürchten. Doch die Dame ist von allerhöchster Glaubwürdigkeit, und sie verfügt über eine bemerkenswerte Tapferkeit. Und das Antlitz eines Engels. Mehr darf ich selbst dir nicht sagen, denn ich habe einen Eid geleistet.«
    »Und wie kommt es überhaupt, dass du dich dieser denkwürdigen Allianz angeschlossen hast?«
    »Von allen Staaten des Deutschen Reiches muss mein Herzogtum Napoleon als die saftigste Beute scheinen: Wir sind zwar klein, halten aber eine Schlüsselposition in der Mitte Deutschlands, und das Heer Sachsen-Weimars gegen die französische Armee hieße eine Ratze gegen einen Löwen antreten lassen. Ich habe mich als Gastgeber vieler königstreuer Franzosen hervorgetan und aus meiner Abneigung gegen den Korsen nie einen Hehl gemacht. Und ich habe sämtliche Feldzüge gegen Frankreich begleitet. Vielleicht bin ich in den Augen des Kaisers nur ein kleines Licht, aber umso bestimmter wird er es auslöschen wollen. Sollte Napoleon gegen Deutschland marschieren – und das wird er, so wir die Hände untätig in den Schoß legen –, dann muss ich nicht nur um mein Herzogtum, sondern auch um mein nacktes Leben fürchten.« Carl August packte seinen Freund an beiden Armen, und mit ehrlicher Verzweiflung sagte er: »Wenn ich je deine Hilfe gebraucht habe, dann jetzt. Hilf mir, und du sollst fürder alles haben, was du von mir verlangst.«

    Auf dem Heimweg verfasste Goethe im Geiste eine Liste mit den Dingen, die er dem Herzog abverlangen wollte: die stufenweise Verminderung der Fron- und Steuerlasten für die Bauern des Fürstentums, die Ernennung Hegels zum Professor der Philosophie an der Jenenser Universität und schließlich die Entfernung der vom Herzog so verehrten Karoline Jagemann vom Hoftheater, denn die fortdauernden Ränke und Machtspielchen der Schauspielerin raubten ihm den letzten Nerv. Dieser herkulische Dienst für Carl August sollte seinen Preis haben, und es würde nicht bei Versprechungen bleiben. Wieder am Frauenplan angelangt, kam Goethe der Gedanke, dass in der Mitte des Platzes eigentlich noch genügend Raum für eine bronzene Statue … – und verwarf ihn sogleich wieder.
    Christiane kam ihm entgegen, während er im Flur sei ne Stiefel auszog, und fragte ihn, ob er nun zu frühstücken oder vielmehr Mittag zu essen gedenke. Doch mitten in ihrer Aufzählung möglicher Speisen verstummte sie, als er von seinen Stiefeln aufblickte.
    »Gibt es etwa Krieg?«, fragte sie.
    Goethe schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, aber ich muss dennoch fort. Der Herzog schickt mich nach … Hessen.«
    »Was sollten Sie in Hessen?«
    »Diplomatische Obliegenheiten. Aber versprochen: Ich werde nicht länger als eine Woche fort sein, und ich bringe dir eine Bouteille feinsten Rheinweines mit.« Goe the nahm die Perücke ab. Die Wärme darunter hatte den Schorf aufgeweicht, und zwei Blutflecken hatten die weißen Perückenhaare hellrot eingefärbt. »Schlag mir ein paar Eier in die Pfanne und Speck dazu. Ich bin hungriger als Schwager Kronos. – Wo ist mein Sohn?«
    »August ist im Garten und baut einen Mann aus Schnee.«
    »Schick ihn zu Schillern. Er soll augenblicklich kommen, und wenn ihn darob die Inspiration verlässt!«
    »Die Inspiration für einen Schneemann?«
    »Nicht doch August, du Schaf! Ich rede von Schillern.«
    In seinem Arbeitszimmer stellte Goethe den ledernen Ranzen, den er zuletzt auf einer Wanderung durch den Thüringer Wald genutzt hatte, auf den Tisch in der Mitte des Raumes und füllte ihn mit Kleidern für seine Reise nach Mainz; schmucklos genug, jeglicher Aufmerksamkeit zu entgehen, und warm genug für den Frost, der über Deutschland lag. Dann sammelte er zusammen, was er für nötig hielt: einen Wasserschlauch aus Sizilien und einen Hirschfänger mit einem Griff aus Horn, den ihm sein Herzog in der Schweiz geschenkt hatte. Ein Seil, das er mit in den Harz genommen, aber weder dort noch später je benutzt hatte. Eine Öllampe aus Messing aus den Ilmenauer Bergwerken. Und schließlich einen Kompass, der ihm den Weg in die Champagne und zurück gewiesen hatte. Er wartete, bis ihm Christiane das dampfende Frühstück in einer schwarzen Eisenpfanne gebracht hatte, bevor er begann, auch unter seinen Waffen die dienlichsten herauszusuchen. Er entschied sich für ein einfaches Stilett und zwei Pistolen. Dazwischen nahm er immer wieder eine Gabel voll des Omeletts. August war zurückgekehrt und gab im Garten seinem
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