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Das Erlkönig-Manöver

Das Erlkönig-Manöver

Titel: Das Erlkönig-Manöver
Autoren: Robert Löhr
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drehte ihn, sodass Tag und Nacht im Sekundentakt verstrichen. »Denn schließlich retten wir Louis-Charles’ Leben, und wir begleiten ihn danach: Bedenken Sie nur, wie groß unser Einfluss auf ihn wäre! Er ist noch jung, er ist empfänglich. Wir können ihn lehren, aus den Fehlern seines Vaters und denen Napoleons zu lernen. Wir können das Kind nach unserm Sinne formen. Wir könnten ihn mit all den Idealen ausstatten, die wir selbst für richtig erachten. Es ist mir bei Carl August gelungen, aus einem vergnügungssüchtigen Springinsfeld einen aufgeklärten, gewissenhaften Herrscher zu bilden, und er hat ein unbedeutendes kleines Herzogtum zu größter Blüte geführt. Kaum auszumalen, was wir beide als Erzieher und Vertraute des Königs der schönsten Monarchie der Welt erreichen könnten!«
    Schillers Blick wich von Goethe ab, wanderte einen Moment ziellos im Raum umher und fand schließlich den drehenden Erdball. Er blinzelte. »Warum, bitte, drehen Sie den Globus?«
    »Ich weiß es selbst nicht.« Goethe umfasste mit der Hand die Arktis und hielt die Erdkugel an. »Aber eines noch, dann schweige ich: Man soll tun, was man kann, einzelne Menschen vom Untergang zu retten, umso mehr ein unschuldiges und viel gepeinigtes Waisenkind. Louis ist ein würdiger Mensch, und er soll in keinem schimpflichen Gefängnisse verschmachten oder gar enthauptet werden: Die freche Tyrannei, die es wagte, ihn zu fesseln, zückt schon den Dolch, ihn zu ermorden. Sein Hals wäre ein rechtes Fressen für den Scharfrichter. – Selbst wenn es also misslingt, ihn auf den Thron zu heben, will ich zufrieden sein, ihn vom Schafott und vom Schicksal seiner Eltern bewahrt zu haben. Sein Jahrhundert kann man vielleicht nicht verändern, aber man kann sich dagegenstellen und glückliche Wirkungen vorbereiten.«
    Schiller nickte mit dem ganzen Oberleib, aber dennoch ganz unscheinbar. Er sagte eine ganze Weile nichts, derweil ihn Goethe, die Hand auf dem Nordpol, betrachtete. Dann erhob sich Schiller, geräuschvoll einatmend, von seinem Stuhl und blickte sein Gegenüber lächelnd an. »Wohlan! Es soll an mir nicht fehlen. Fordern wir unser Jahrhundert in die Schranken. Arm in Arm mit Ihnen kann es nur gelingen.«
    Mit funkelnden Augen eilte Goethe Schiller entgegen, und die beiden Freunde packten des anderen Unterarm mit festem Griff.
    »Arm in Arm!«, wiederholte Schiller. »Es soll mich kitzeln, Napoleon niederzuringen. Das Ziel ist würdig, und der Preis ist groß!«
    »Ich bin überglücklich, mein teurer Freund. Nun fürchte ich mich weder vor Hölle noch Teufel.«
    Die beiden lösten ihren Handschlag. »Meine Arbeit macht derzeit eh keine Fortschritte«, sagte Schiller, »da kömmt mir ein Ausflug an Rhein und Main nur gelegen. – Außerdem hat der gestrige Abend wohl zur Genüge bewiesen, dass Sie ohne meinen Beistand aufgeschmissen sind.«
    »Woran schreiben Sie?«
    »Etwas mit Piraten und einer Meuterei und Menschenfressern und einer Liebe auf hoher See. Aber es will mir so gar nicht von der Hand. Ich überlege bereits, die Piraten über Bord zu werfen und mich an eine Fortsetzung meiner ungemein erfolgreichen Räuber zu wagen.«
    Goethe brummte.
    »Hörte ich Sie brummen?«
    Goethe brummte abermals.
    Schiller hob nickend die Hände. »Wohl, Sie brummen zu Recht. Ich werde nichts dergleichen machen. Ich lasse die Räuber in Frieden ruhen, und stattdessen sollen unsre Heldentaten im Dienst des Friedens Inhalt meines nächsten Werkes werden. Lolo allerdings wird mich schelten, wenn ich ihr erzähle, dass ich nach Frankreich muss, und mich nur widerstrebend ziehen lassen. Aber ich war lange genug ein bemooster Philister mit der Nachtkappe auf dem Schädel und der Tobakspfeife im Mund hinterm warmen Ofen; jetzt sage ich dem Lehnsessel und der See lenessigfabrik Weimar adieu!, ich will wieder den Staub der Straße schmecken, und zum Henker fahre das Privatleben! – Frisch also! Mutig ans Werk! Wann brechen wir auf?«
    »Noch heute Nacht. Es fehlt uns freilich noch ein dritter Gefährte. Ein Mann, der sich wie kein Zwoter in Mainz und dem Rheinland auskennt, der Frankreich und seine Sprache so gut beherrscht, dass er selbst für einen Franken gelten könnte, der überdies fränkische Passierscheine besitzt – und der zum Glück gerade in unsrer Stadt weilt.« Goethe nahm seine Grubenlampe vom Tisch und entzündete den Docht an einer der Kerzen. »Wir müssen freilich in die Unterwelt hinabsteigen, um ihn zu finden.«
    Schiller legte die
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