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Das Erbe des Zauberers

Das Erbe des Zauberers

Titel: Das Erbe des Zauberers
Autoren: Terry Pratchett
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schon flatterten Vögel aus seinem Hut. Es gab nirgends eine Wippe.«
    »Aber eine Schaukel«, warf Cern ein. »Und eine Bude, in der man Dinge nach Dingen werfen mußte, um Dinge zu gewinnen.«
    »Und du hast nichts getroffen.«
    »Du auch nicht. Du sagtest, die Dinge seien an Dingen befestigt, so daß sie gar nicht herunterfallen konnten …«
     
    Sie brach den Gedankengang überrascht ab. Sie wußte tatsächlich, was sie meinte: Das entsprechende Vorstellungsbild gewann klare Konturen vor ihrem inneren Auge. Aber ihr fehlten die Worte, um es mit angemessener Genauigkeit zu beschreiben.
    Es ist nicht gerade angenehm, ein Puzzlespiel im eigenen Kopf zu finden und nicht zu wissen, wie man es zusammensetzen soll …
    »Komm endlich, wenn du nicht die Nacht hier verbringen willst.«
    Eskarina schüttelte den Kopf und folgte ihren beiden Brüdern.
    Das Heim der Hexe bestand aus so vielen Erweiterungen und Anbauten, daß man kaum mehr erkennen konnte, wie das ursprüngliche Gebäude ausgesehen und ob es überhaupt eins gegeben hatte. Während des Sommers wuchsen überall Pflanzen, die Oma Wetterwachs ganz allgemein als ›Kräuter‹ bezeichnete: seltsame Gewächse, die aus haarigen Stengeln, stacheligen Blättern und schlangenartigen Ranken bestanden, ausgestattet mit sonderbaren Blüten, bunten Früchten und seltsam aufgedunsenen Schoten. Nur Granny wußte, wozu sie dienten. Und wenn eine Ringeltaube hungrig war, um von dem exotischen Angebot zu kosten, so gab es zwei Möglichkeiten: Entweder kehrte sie schon nach kurzer Zeit kichernd und taumelnd in den Wald zurück, oder sie blieb für immer verschwunden.
    Jetzt lag alles unter einer hohen Schneedecke. Ein zerfranster Windsack flatterte an einem Pfahl. Granny hielt nicht viel vom Fliegen, aber einige ihrer Freundinnen benutzten noch immer Besenstiele.
    »Scheint verlassen zu sein«, sagte Cern. »Kein Rauch«, stellte Gulta fest.
    Die Fenster sahen wie finster starrende Augen aus, fand Esk, behielt diesen Gedanken aber für sich.
    »Es ist nur Grannys Haus«, sagte sie. »Weiter nichts.«
    Eine Aura der Leere hüllte die Hütte ein – das spürten sie ganz deutlich. Und vor dem Hintergrund des Schnees wirkten die Fenster tatsächlich wie schwarze und drohend blickende Augen. Außerdem ließ im Winter kein Bewohner der Spitzhornberge sein Feuer erlöschen; das war eine Frage des Stolzes.
    Eskarina hätte am liebsten vorgeschlagen: »Laßt uns nach Hause zurückkehren!«
    Doch sie wußte, daß ihre Brüder sofort einverstanden gewesen wären, und deshalb meinte sie: »Mutter hat gesagt, es hinge ein Schlüssel im Abort.«
    Cern und Gulta zuckten unwillkürlich zusammen. Selbst ein völlig normaler unbekannter Abort hielt banale Schrecken bereit, zum Beispiel Wespennester, dicke Spinnen, geheimnisvolle Dinge, die unter der hohen Decke raschelten und möglicherweise (in einem besonders kalten Winter) einen Winterschlaf haltenden kleinen Bären, der bei der ganzen Familie Verstopfung verursachte, bis man ihn überreden konnte, im Heuschober weiterzuschlafen. Wer mochte wissen, was einen im Abtritt einer Hexe erwartete?
    »Soll ich mal nachsehen?«, fragte Eskarina.
    »Wenn du unbedingt willst«, erwiderte Gulta wie beiläufig, und es gelang ihm fast, seine Erleichterung zu verbergen.
    Schnee bildete eine hohe Barriere vor der Pforte, und als es Esk schließlich gelang, die Tür aufzuziehen, hob sie überrascht die Brauen. Ihr Blick fiel in eine saubere und ordentliche Kammer, die nichts Unheilvolleres als einen alten Almanach enthielt. Genauer gesagt: die Hälfte eines alten Almanachs, die an einem Nagel hing. Oma Wetterwachs las mindestens ebensogern, wie Fische am Strand liegen und sich sonnen, aber sie vertrat die Auffassung, daß Bücher – insbesondere die Exemplare mit angenehm dünnen Seiten – durchaus einen gewissen Zweck erfüllten.
    Der Schlüssel teilte sich die Leiste an der Tür mit einer Schmetterlingspuppe und einem Kerzenstummel. Eskarina griff vorsichtig danach, achtete darauf, die metamorphierende Raupe nicht zu stören, und eilte zu den wartenden Jungen zurück.
    Es war zwecklos, es an der Vordertür zu versuchen. In Blödes Kaff wurden Vordertüren nur von Bräuten oder Leichen benutzt, und Granny hatte immer sorgfältig vermieden, das eine oder andere zu werden. Hinter der Hütte stießen Esk und ihre Brüder auf weitere Schneewehen und bemerkten eine dicke Eisschicht auf dem Wasser in der Regentonne.
    Das Tageslicht strömte bereits vom Himmel,
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