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Das Erbe des Zauberers

Das Erbe des Zauberers

Titel: Das Erbe des Zauberers
Autoren: Terry Pratchett
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Frühjahr. Blödes Kaff verwandelte sich in eine Oase der Wärme und Geborgenheit.
    »Ich mache mir Sorgen um Oma Wetterwachs«, meinte Esks Mutter beim Frühstück. »Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen.«
    Gordo Schmied stocherte in seinem Haferbrei. »Darüber beklage ich mich nicht«, erwiderte er. »Sie …«
    »Sie hat eine lange Nase«, warf Eskarina ein.
    »Von derart taktlosen Bemerkungen halte ich nichts«, tadelte ihre Mutter.
    »Aber Vater hat mehrmals gesagt, sie stecke dauernd ihre lange Nase in seine …«
    »Eskarina!«
    »Aber er sagte …«
    » Ich sagte gerade …«
    »Ja, ich weiß, aber er sagte …«
    Gordo beugte sich vor und gab seiner Tochter eine Ohrfeige. Er schlug natürlich nicht hart zu, und außerdem bereute er es sofort. Seine Söhne bekamen eine Tracht Prügel, wenn sie es verdienten, und manchmal bestrafte er sie auch mit einem Lederriemen. Eskarina war nicht in dem Sinne ungezogen. Die Schwierigkeiten mit ihr bestanden in erster Linie darin, daß sie selbst dann hartnäckig an einem Thema festhielt, wenn man sie aufforderte, davon abzulassen. So etwas machte ihn immer nervös.
    Das Mädchen brach in Tränen aus. Gordo stand auf und stapfte in Richtung Schmiede davon, verlegen und wütend auf sich selbst.
    Kurz darauf ertönte ein lautes Knacken, gefolgt von einem dumpfen Pochen.
    Esks Mutter und ihre Sprößlinge fanden den Schmied reglos auf dem Boden liegen. Als er nach einer halben Stunde zu sich kam, behauptete er steif und fest, er sei mit dem Kopf an die Tür geprallt. Was seinen besorgten Zuhörern seltsam erschien, denn Gordo war keineswegs sehr groß, und die Tür hatte ihm immer genug Platz geboten. Doch der Schmied meinte, die schemenhafte Bewegung in einer besonders dunklen Ecke der Werkstatt habe nichts mit dem zu tun, was ihm zugestoßen sei.
    Dieser Zwischenfall drückte dem folgenden Tag irgendwie seinen Stempel auf: Geschirr zerbrach; man trat sich gegenseitig auf die Füße, und es herrschte eine gereizte Stimmung. Esks Mutter ließ einen Krug fallen, der von ihrer Großmutter stammte, und als sie wenig später den Dachboden aufsuchte, mußte sie feststellen, daß in einer Kiste alle Äpfel verfault waren. Das Feuer in der Schmiede qualmte verdrießlich und weigerte sich, richtig zu brennen. Der älteste Sohn Jaims rutschte auf dem vereisten Weg aus und verletzte sich am Arm. Die weiße Katze (oder eine ihrer Nachkommen – die Katzen führten ein privates und recht intensives Familienleben im Heuschober neben der Schmiede) kletterte im Kamin der Spülküche hoch und lehnte es ab, wieder herunterzukommen. Selbst der Himmel schien grauer zu sein als sonst, und trotz des Schnees roch die Luft schal und stickig.
    Angespannte Nerven, Langeweile und schlechte Laune drohten die figürliche Lunte zu entzünden und das symbolische Pulverfaß zur Explosion zu bringen.
    »So, jetzt reicht’s mir!«, entfuhr es Mutter Schmied. »Ich hab’ endgültig die Nase voll. Cern, geh mit Gulta und Esk zu Oma Wetterwachs und … He, wo ist Eskarina?«
    Die beiden Jungen führten einen halbherzigen Kampf unter dem Tisch und legten eine kurze Pause ein.
    »Im Garten«, antwortete Gulta. »Schon wieder.«
    »Dann holt sie und verschwindet.«
    »Aber es ist kalt draußen.«
    »Und es schneit.«
    »Folgt einfach der Straße. Sie ist deutlich genug zu sehen. Und was die Kälte angeht: Es kann gewiß nicht schaden, wenn sich eure erhitzten Gemüter ein bißchen abkühlen. Außerdem: Wer wollte denn unbedingt einen Schneemann bauen, als die ersten Flocken fielen? Los, bewegt euch! Und kehrt erst zurück, wenn ihr euch wieder daran erinnert, wie man sich benimmt!«
    Esk saß in einer Astgabel des großen Apfelbaums. Die Jungen mochten ihn nicht besonders, und das hatte mehrere Gründe. Zum Beispiel war er so voller Misteln, daß er sogar im Winter grün blieb. Die Früchte wurden nicht größer als Herzkirschen: An einem Tag schmeckten sie so sauer, daß sich der ganze Mund zusammenzog, und am nächsten verdarben sie bereits und dienten Wespen als Heimstatt. Er erweckte zwar den Eindruck, man könne ihn leicht erklimmen, aber er neigte dazu, dem nichtsahnenden Kletterer seltsame Streiche zu spielen. Äste gaben nach, und Füße rutschten an zuvor völlig fester Borke ab. Cern behauptete, einmal sei nur deshalb ein Zweig geknickt, um ihn hinunterstürzen zu lassen. Wie dem auch sei, der Baum tolerierte Eskarina, die ihn immer dann erstieg, wenn sie sich über irgend etwas ärgerte oder
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