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Das Erbe des Zauberers

Das Erbe des Zauberers

Titel: Das Erbe des Zauberers
Autoren: Terry Pratchett
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schlicht allein sein wollte. Und die Jungen spürten, daß ihr brüderliches Recht, die Schwester aufzuziehen, am Fuße des Stamms endete. Aus diesem Grund warfen sie nur einen Schneeball nach ihr. Er verfehlte das Ziel.
    »Wir statten der alten Wetterwachs einen Besuch ab.«
    »Aber du brauchst uns nicht zu begleiten.«
    »Du würdest uns ohnehin nur aufhalten und weinen.«
    Esk sah ernst auf sie herab. Sie weinte nur selten, weil sie wußte, daß es kaum etwas nützte.
    »Wenn ihr wollt, daß ich hierbleibe, komme ich mit«, erwiderte sie. Ein typisches Beispiel für die unter Geschwistern gebräuchliche Logik.
    »Oh, wir wären dir sehr dankbar, wenn du uns begleitest«, sagte Gulta hastig.
    »Freut mich, das zu hören«, entgegnete Eskarina, sprang und landete im hohen Schnee.
    Ihre beiden Brüder führten einen Korb bei sich, der geräucherte Würstchen, eingelegte Eier und – da ihre Mutter ebenso klug wie großzügig war – auch einen Krug mit Pfirsichmarmelade enthielt, die in der Familie keinen großen Anklang fand. Trotzdem zog Frau Schmied jedes Jahr im Sommer los und pflückte wilde Pfirsiche, um erneut einen großen Vorrat anzulegen, auf den niemand sonderlichen Wert legte.
    Die Bewohner von Blödes Kaff hatten sich an die harten Winter gewöhnt und entlang der aus dem Ort führenden Straßen hohe Zäune errichtet, die Schneewehen auf dem Weg verhindern und Wanderern, vor allem Besuchern aus anderen Tälern, als Orientierungshilfe dienen sollten. Wenn sich Einheimische verirrten, so gerieten sie kaum in Gefahr: Irgendein unbesungenes Genie des Dorfrates hatte vor einigen Generationen vorgeschlagen, jeden zehnten Baum im Wald außerhalb des Ortes mit bestimmten Kennungen zu versehen, und zwar bis in eine Entfernung von fast zwei Meilen. Dieses gewaltige Unternehmen dauerte viele Jahre lang, und oftmals widmeten sich Männer in ihrer freien Zeit der verantwortungsvollen Aufgabe, die Schnitzzeichen in den vielen Stämmen zu erneuern. Manchmal tobten im Winter so heftige Schneestürme, daß man nicht einmal dann nach Hause zurückfand, wenn man einige Meter vor der eigenen Tür stand, und die Kerbenmuster in der Borke hatten schon so manches Leben gerettet, indem sie furchtsam zitternden und besorgt tastenden Fingern den Weg wiesen.
    Es begann erneut zu schneien, als Eskarina und ihre Brüder die Straße verließen und den schmalen Pfad zum Haus der Hexe beschritten. Im Sommer wuchsen dort Himbeersträucher und große Büsche, doch jetzt war alles weiß.
    »Keine Fußspuren«, sagte Cern.
    »Nur die von Füchsen«, fügte Gulta hinzu. »Es heißt, Granny könne sich in einen Fuchs verwandeln. Oder in irgendein anderes Geschöpf. Sogar in einen Vogel. Dadurch hält sie sich ständig auf dem laufenden.«
    Sie blickten sich vorsichtig um. Und tatsächlich: Eine in die Jahre gekommene Krähe hockte auf einem nahen Baumstumpf und beobachtete sie.
    »Wie ich hörte, soll es auf Ritzenhöhe eine ganze Familie geben, die die Gestalt eines Wolfsrudels annehmen kann«, sagte Gulta, der einen vielversprechenden Gesprächsgegenstand gern ausführlich erörterte. »Wißt ihr, eines Nachts schoß jemand auf einen Wolf, und am nächsten Tag humpelte die Familientante mit einer Pfeilwunde im Bein durch die Gegend …«
    »Ich glaube nicht, daß Menschen in der Lage sind, sich in Tiere zu verwandeln«, erwiderte Esk langsam.
    »Und warum nicht, Fräulein Schlaukopf?«
    »Granny ist ziemlich groß. Wenn sie die Gestalt eines Fuchses annähme, was geschähe dann mit all den Körperteilen, die nicht unters Fell passen?«
    »Sie würde sie einfach wegzaubern«, meinte Cern.
    »Ich bezweifle, ob du die richtige Vorstellung von Magie hast«, sagte Eskarina. »Man kann nicht einfach irgendwelche Dinge beschwören. Es gibt da eine Art … Wippe. Wenn man aufs eine Ende drückt, kommt das andere in die Höhe …«
    Sie verstummte.
    Ihre beiden Brüder starrten sie groß an.
    »Oma Wetterwachs auf einer Wippe?«, fragte Gulta skeptisch. Cern lachte.
    »Nein, ich meine: Wenn irgend etwas geschieht, muß auch etwas anderes passieren – glaube ich.«
    Eskarina runzelte verwirrt die Stirn und wich einer ungewöhnlich hohen Schneewehe aus. »Nur in der anderen … Richtung.«
    »Das ist doch Unsinn«, sagte Gulta. »Erinnerst du dich noch an das Fest im letzten Sommer, an den Zauberer, der lebende Tauben und die merkwürdigsten Dinge aus dem Nichts erscheinen ließ? Ja, er murmelte einfach ein paar magische Worte, hob die Arme – und
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