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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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meine –«
    »Ach, du meine Güte«, sagte Mrs. Plummer. Ihre Mundwinkel zuckten kaum merklich. »Und warum hassen Sie sie?«
    Verlegen murmelte Romy: »Sie ist so langweilig.«
    »Was täten Sie denn lieber?«
    »Das weiß ich auch nicht.« Romy betrachtete Mrs. Plummers elegante Kleidung und sagte neugierig: »Was arbeiten Sie, Mrs. Plummer? Haben Sie ein Geschäft?«
    »O nein. Ich besitze ein Nachtlokal und ein Hotel.«
    Romy sah augenblicklich schummrige, verrauchte Räume voll eleganter, unglaublich kultivierter Menschen vor sich. Sie seufzte. »So ein Glück.«
    »Mit Glück hat das nichts zu tun.« Mrs. Plummers Ton war scharf. »Jeder ist selbst dafür verantwortlich, was er aus seinem Leben macht. Das sollten Sie nie vergessen. Wie alt sind Sie, Romy?«
    »Achtzehn. Ich werde aber bald neunzehn.«
    »Dann haben sie noch viel Zeit.« Mrs. Plummer öffnete ihre Handtasche und nahm eine kleine Karte heraus. »Hier, nehmen Sie. Und wenn Sie das nächste Mal nach London kommen, besuchen Sie mich.«
    Das Taxi kam und fuhr mit Mrs. Plummer im Fond davon. Romy sah ihm nach, bis es an einer Straßenbiegung verschwand. An die Hausmauer gelehnt blieb sie noch einen Moment stehen und beobachtete das Samstagmorgengetümmel in den Straßen. Sie sah auf ihre Uhr. Bald Mittag. Nur noch eine halbe Stunde bis Büroschluß. Um eins war sie mit Liam Pike verabredet. Sie schaute sich die Karte in ihrer Hand an. Der Name Mirabel Plummer stand in verschnörkelter Schrift über einer Londoner Adresse. Mirabel. Romy schloß die Augen und träumte von anderen Welten.
    Über den hohen Bäumen am Straßenrand hing ein erster grüner Schimmer, als sie am Nachmittag in nördlicher Richtung aus Romsey hinausfuhren. Zwischen Hecken und Schilf zeigte sich hin und wieder der Fluß, der wie Silber glänzte. Kurz vor Andover rief Liam laut, um das Rattern des Wagens zu übertönen: »Wir könnten hier irgendwo was essen.«
    Romy schüttelte den Kopf. Sie wollte im Auto bleiben. Sie wollte ewig so weiterfahren.
    »Frierst du?« fragte Liam. Er lenkte mit einer Hand, mit der anderen umschloß er Romys eiskalte Finger. »Ich könnte das Verdeck hochklappen. Oder sonst liegt hinten eine Decke.«
    »Nein, nein, schon gut.«
    Sie fand es herrlich, den Wind in ihrem Haar zu fühlen, und begnügte sich damit, den Kragen ihres Regenmantels hochzuschlagen. Die Straße wurde schmaler und begann zu steigen. Auf den Feldern standen reetgedeckte kleine Häuser und abgeschiedene Gehöfte. Immer wieder trat dichter Wald an die Straße heran und verdunkelte die Sonne. Dann aber, als der Wagen durch die Kreidehügel aufwärts kroch, blieben die Bäume zurück.
    Liams Hand glitt von ihren Fingern zu ihrem Oberschenkel. Romys Stimmung verdüsterte sich in Erwartung des unausweichlichen Kampfs. Erst würde Liam sie küssen, dann würde er versuchen, ihre Bluse aufzuknöpfen, und sie würde ihn wegstoßen. Daraufhin würde er schmollen, und sie würde ihn aufheitern müssen, und am Ende würde er sie nach Hause fahren. Sie war nicht einmal sicher, daß er sie besonders mochte. Sie vermutete, er versuchte es bei jedem Mädchen.
    Die Landschaft, durch die sie fuhren, hatte jetzt etwas Vertrautes. Als hätte sie sie schon einmal im Traum gesehen. Sie schaute in die Karte, aber sie war im Kartenlesen noch nie gut gewesen, und das Durcheinander von geschlängelten Linien und Farbschraffierungen schien ihr zu den Feldern und Hügeln, die sie umgaben, in keinerlei Beziehung zu stehen.
    »Wo sind wir?«
    »Das ist der Inkpen Hill«, sagte Liam. »Hier in der Nähe ist Hungerford.«
    Inkpen . Ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen. Wieder starrte sie mit zusammengezogenen Brauen in die Karte, aber die half ihr nicht weiter, und sie warf sie schließlich ungeduldig zu Boden.
    Und da fügten sich Straßen, Hügel und Häuser plötzlich zu einem Bild, als hätte jemand ein Puzzle fertiggestellt, und sie wußte, wo sie war. Es war, als wäre sie erst gestern hier fortgegangen und nicht vor beinahe elf Jahren. Sie sah den hohen Kreidefelsen mit dem alten Fußweg, der der Kammlinie folgte. Die jagenden Wolken warfen dunkle Schatten auf Gras und Ginster der Hänge. Jede Wegbiegung, jedes Auf und Ab von Hügel und Tal bescherte ihr jetzt Bilder aus ihrer Kindheit. Ein Schulhaus aus Flint und Ziegel mit einem asphaltierten Hof, der mit einem Eisengitter umschlossen war, stand am Rand eines Dorfs. Eine Reihe kleiner Häuser, mit Stroh gedeckt, das die Jahre dunkel gefärbt
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