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Das Erbe des Vaters

Das Erbe des Vaters

Titel: Das Erbe des Vaters
Autoren: Judith Lennox
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beschimpfte ihn, bereit, ihm das gemeine Gesicht zu zertrümmern, ihn zu töten.
    Aber Jem war siebzehn und schmal, Dennis Ende Dreißig, stämmig und muskulös. Er packte Jem bei den Haaren und schlug seinen Kopf mehrmals krachend gegen die Wand. Jem schrie, die Knie wurden ihm weich. Bei der ersten Gelegenheit, als Dennis den Griff ein wenig lockerte, entwand Jem sich seiner Hand und rannte aus dem Haus. Verletzt und benommen rannte er fort von Hill View, fort aus Stratton. Es hatte zu regnen begonnen, und die Tropfen mischten sich mit dem Blut und den Tränen, die über sein Gesicht liefen.
    Am Morgen lagen überall in der Küche Scherben. Romy, die sich in der Nacht heimlich heruntergeschlichen hatte, hatte gesehen, wie Dennis Jems Kopf immer wieder gegen die Wand geschlagen hatte, während Martha geschrien hatte, er solle aufhören. Martha hatte aus einer Wunde am Mund geblutet. Sie hatte Romy bemerkt und ihr mit ärgerlichen Gesten zu verstehen gegeben, auf ihr Zimmer zu gehen.
    Romy hatte ihr gehorcht. Die Beschämung, die sie dabei beschlich, war vertraut. Sie konnte Dennis nicht daran hindern, Jem und ihre Mutter zu mißhandeln. Aus Erfahrung wußte sie, daß Dennis auch sie geschlagen hätte, wenn sie es versucht hätte. Trotzdem konnte sie es sich kaum verzeihen, daß sie tatenlos zugesehen hatte. Im Bett rollte sie sich fest zusammen, zog sich das Kopfkissen über den Kopf und drückte die Finger auf ihre Ohren, um das Gebrüll und Geschrei von unten nicht mit anhören zu müssen.
    Den ganzen Morgen bei der Arbeit begleitete sie die Angst. Die Frage, wo Jem jetzt war, ob es ihm gutging, ließ sie nicht los. Immer wieder überlegte sie, wie lange sie brauchen würde, um genug Geld für eine eigene Wohnung zu sparen, wo Jem vor Dennis sicher wäre. Es kostete sie einige Mühe, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Sie war zutiefst niedergeschlagen und hatte Kopfschmerzen. Als gegen Mittag eine von Mr. Gilfoyles reichen Mandantinnen in die Kanzlei kam und in eine Wolke von Luxus und Geheimnis gehüllt am Schreibzimmer vorbeirauschte, starrte Romy ihr mit einer Mischung aus Neid und Sehnsucht nach, bis sie in Mr. Gilfoyles Zimmer verschwunden war. Die Mandantin, eine Mrs. Plummer, besaß dieses undefinierbare großstädtische Flair kosmopolitischer Weltgewandtheit und Eleganz. Sie trug einen Pelzmantel und ein schwarzes Hütchen mit einem schicken kleinen Schleier und hatte mehrere Tragetüten bei sich, auf denen die Namen der exklusivsten Läden von Romsey prangten. Goldene Armbänder klirrten an ihrem Handgelenk, und der Schleier ihres Hütchens sprenkelte ihr Gesicht mit kleinen tanzenden Schatten. Ihr Parfum hing noch in der Luft, als sich Mr. Gilfoyles Zimmertür längst hinter ihr geschlossen hatte – ein französischer Duft, behauptete Lindy Saunders hingerissen.
    Nach einigen Minuten öffnete Mr. Gilfoyle die Tür seines Zimmers und rief Romy herein. Mit Block und Bleistift ausgerüstet nahm sie auf einem Hocker Platz, um einen Brief aufzunehmen. Das Schreiben war lang und kompliziert, es ging darin um Mieten, Treuhandfonds und Steuern. Während Romy mitstenographierte, musterte sie verstohlen Mrs. Plummer und fragte sich, wie man sich fühlte, wenn man so reich war wie diese, so alt wie diese. Sie stellte sich ihr Haus vor, eine riesengroße Villa mit goldenen Leuchtern und wertvollen Ölgemälden, mit schweren Samtvorhängen an den Fenstern und geschnitzten Schränken, in denen teures Porzellan und edle Gläser standen …
    »Miss Cole?« Mr. Gilfoyles Stimme störte sie aus ihrem Tagtraum auf. »Würden Sie uns den Brief noch einmal vorlesen, bitte?«
    Sein scharfer Blick ruhte auf ihr, als erwartete er, daß sie einen Fehler machen würde, aber ihre stenographischen Aufzeichnungen waren wie immer perfekt.
    Als sie fertig waren, stand Mrs. Plummer auf. »Sie schicken mir die Sachen dann zur Unterschrift, Mr. Gilfoyle?«
    »Sie haben Sie spätestens in einer Woche.« Mr. Gilfoyle gab Mrs. Plummer die Hand.
    Romy erbot sich, Mrs. Plummer die Tüten abzunehmen. Sie trug sie nach unten zur Straße. Draußen auf dem Gehweg sagte Mrs. Plummer: »Das war sehr freundlich von Ihnen, Miss Cole.« Sie lächelte. »Wie heißen Sie mit Vornamen, Kind?«
    »Romy.«
    »Romy … Ein hübscher Name. Und sehr ungewöhnlich. Sie machen Ihre Arbeit sehr gut, Romy. Macht sie Ihnen denn Freude?«
    »Ich hasse die Arbeit«, sagte Romy, ohne zu überlegen, und merkte, wie sie rot wurde. »Ich
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