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Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin

Titel: Das Erbe der Runen 03 - Die Schattenweberin
Autoren: Monika Felten
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Dorfes, die hier einem Djakûn oder einem der anderen blutrünstigen Raubtiere zum Opfer fiele.
    Der Nachtara gab einen spöttisch-gackernden Laut von sich.
    Geh!, spornte Yenu sich selbst in Gedanken an. Nun mach schon! Beweg dich!
    Und endlich löste sich die Starre.
    Zögernd setzte sie einen Fuß vor den anderen. Erst langsam und leise, dann immer schneller humpelte sie den Pfad entlang. Jeder Schritt jagte ihr einen heißen Schmerz durch den Körper, aber sie biss die Zähne zusammen und kämpfte sich weiter voran.
    Sie wollte fort, nur fort von hier.
    Gehetzt blickte sie sich um.
    War dort nicht ein leuchtendes Augenpaar, das sie aus dem Dickicht heraus anstarrte? Yenu blinzelte, doch als sie wieder hinschaute, war es verschwunden. Ihr Herz hämmerte wie wild, der verletzte Knöchel schmerzte, aber sie gönnte sich keine Rast. Irgendwo hinter sich glaubte sie den hechelnden Atem eines Djakûn zu hören. Der Gedanke an die schwarzen Raubkatzen schürte die Panik in ihr und trieb sie an, noch schneller zu laufen. Kopflos floh sie durch das Dickicht. Die Äste der Bäume und Sträucher schlugen ihr wie Peitschenhiebe ins Gesicht und zerrissen den dünnen Stoff ihrer Tunika.
    Yenu spürte, wie ihre Kräfte schwanden. Ihre Schritte wurden unsicher, und immer öfter stolperte sie über Baumwurzeln. Lichtpunkte tanzten wie bunte Sterne vor ihren Augen, und ein heftiger Schwindel raubte ihr das Gleichgewicht. Erschöpft taumelte sie noch ein Stück voran, dann verließen sie die Kräfte. Fast wäre sie gestürzt, hätten ihre tastenden Hände nicht im letzten Augenblick die borkige Rinde eines Baumes gefunden. Nach Luft ringend, lehnte sie sich mit dem Rücken gegen den Stamm, schloss die Augen und wartete, dass sich ihr rasender Herzschlag beruhigte.
    Was war sie doch für eine Närrin gewesen zu glauben, dass sie Wilnu so einfach folgen und den Weg zur Melva-Nnab allein und ohne Fackel finden zu können.
    Irgendwo knackte ein Zweig, gefolgt von dem feinen Rascheln trockener Blätter.
    Ein Djakûn!
    Yenu hielt den Atem an, presste sich fest an den Stamm und schaute sich um. Alles in ihr schrie nach Flucht, aber ihre verkrampften Muskeln gehorchten ihr nicht mehr. Die tanzenden Lichtpunkte vor ihren Augen waren verschwunden, doch die Dunkelheit blieb undurchdringlich und gab nichts von dem preis, was sich in ihr verbarg. Verstohlen tastete sie mit einer Hand nach dem Feuersteinmesser, löste mit zitternden Fingern die Schlaufe am Gürtel – und griff ins Leere. Der dumpfe Aufprall, mit dem die Feuersteinklinge im Laub versank, nahm ihr den letzten Funken Hoffnung, sich der drohenden Gefahr erwehren zu können.
    Wieder knackten Zweige, diesmal ganz nah. Yenu hörte den hechelnden Atmen eines Raubtiers, während die unverkennbaren Ausdünstungen des gefürchteten Jägers ihre Nase streiften.
    Wie dumm ich doch war! Yenu wusste, dass diese Erkenntnis zu spät kam. Viel zu spät. Sie hätte die Verbote nicht missachten dürfen. Wie die anderen Frauen hätte sie im Dorf bleiben und geduldig auf die Rückkehr der Männer warten müssen. Aber sie hatte nicht gewartet, sie war gegangen. Seufzend lehnte sie den Kopf an den Stamm und schloss die Augen. Sie hatte einen Fehler gemacht und würde dafür bezahlen. Das Gesetz des Dschungels war unerbittlich – auf alle, die Fehler machten, wartete der Tod.
     
     

    ***
     
    Das Erste, was Keelin in seinem Unglück bewusst wahrnahm, war ein leichtes Ziehen an der Wange, eine sanfte Berührung seines Geistes und Krallen, die sich durch das Gewebe seines Gewandes in die Haut seiner Schulter bohrten.
    Horus!
    Er hob den Kopf und wischte die Tränen mit dem Ärmel fort. Der Falke hatte sich auf seiner Schulter niedergelassen und knabberte so zärtlich verspielt an seinen Bartzöpfen, als wolle er ihn trösten.
    »Ach, Horus.« Plötzlich schämte Keelin sich, dass er sich hier im Falkenhaus so hatte gehen lassen. Der Raum, in dem die Falken schliefen, war ein Ort der Ruhe, doch er hatte nur seine eigenen Belange im Sinn gehabt und sich nicht annähernd so verhalten, wie es von einem Falkner erwartet wurde. Er hatte den Schlaf der Falken gestört, aber während sich die anderen langsam wieder beruhigt hatten, war es Horus, der immer noch darunter litt.
    Keelin spürte, wie gereizt und verwirrt der Falke war. Das kleine Herz schlug ihm so heftig in der Brust, wie Keelin es sonst nur von den Augenblicken der Blutlust kannte, die dem Beuteschlagen vorausging. Jetzt aber war es seine eigene
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