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Das Ende der Liebe

Das Ende der Liebe

Titel: Das Ende der Liebe
Autoren: Sven Hillenkamp
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»Kann ich mehrere Partner gleichzeitig haben? Oder nur einen nach dem anderen? Wie viele Partner sind angemessen? Ein paar, fünf oder sechs? Oder sehr viel mehr, unzählige? Was würde ich tun, wenn ich mehr Mut hätte?«
    Eine Frau von fünfundvierzig Jahren ist in Südafrika auf Dienstreise. Die Frau hat einen internationalen Beruf (der mehr eine Leidenschaft ist als ein Dienst, weshalb ihre Reise besser eine Leidenschaftsreise heißen sollte, was auch aus einem anderen Grund zutreffender ist, wie sich zeigen wird).
    Die Frau sitzt mit zwei anderen Frauen im Café und sagt: »Mit dem Einen kannst du toll reden, der Andere ist toll im Bett, der Dritte ist wirklich zuverlässig. Aber das alles findest du nie in einer Person. Nie!«
    Die Frau hat drei Liebhaber. Sie sagt Lover . Sie ist Amerikanerin, lebt in New York. Doch auch wenn sie Deutsche wäre, würde sie das Wort Lover verwenden. Es gibt das Serielle, Flüchtige ihrer Erfahrung wieder.
    Der Mann, der toll im Bett ist, lebt in Kapstadt. Die Frau wird ihn in Kürze besuchen. Der Mann, mit dem die Frau reden kann, lebt in Marseille. Und der Mann, der zuverlässig ist, ist aus Zürich. Die Frau reist also nicht nur aus beruflichen Gründen. Die Männer wissen voneinander, zwar nicht von ihrer Funktion, ihrem exklusiven Vorzug, doch von der Existenz ihrer Konkurrenten – richtiger: Komplementäre.
    [32] Die Frau erzählt im Café von einem Traum. Die drei Männer sind einer geworden. Der Mann hat das Aussehen von keinem der drei, doch die Frau weiß, er ist alle drei. »Ich weiß nicht warum«, sagt sie, »aber es war kein schöner Traum. Ich fühlte mich beim Aufwachen, als hätte mich jemand tagelang in einen Wandschrank gesperrt. Eine furchtbare Enge. Eigentlich war das mein Traummann. Doch mir kam es vor, als sei ein gigantisches Universum implodiert und zusammengeschnurrt zum Schwarzen Loch.«
    Ein Psychoanalytiker berichtet: »Ein 36-jähriger Patient – im Kunstgewerbe als Kaufmann bereits sehr erfolgreich tätig – hatte von zahlreichen Freundinnen kleinere Gegenstände ›archiviert‹ und in einer Kiste, seiner ›Schatzkiste‹ versteckt. Hierin befanden sich also Fotos, Postkarten, Ringe, Spangen, Haarlocken, Tücher, Lippenstifte, und diverse delikate Dinge. Er hatte die Beziehungen zu seinen Freundinnen immer abgebrochen. Seine Vorstellung war, später aus diesen Gegenständen eine große Collage anzufertigen – seine ›unsterbliche Geliebte‹.«
    Auch die Menschen, die nicht in der Wirklichkeit mehrere Partner gleichzeitig haben, haben im Bewusstsein mehrere Partner gleichzeitig.
    Ein Mann ist noch so jung, dass man ihn kaum einen Mann nennen würde. Er hat neulich mit einer Frau geschlafen, die ihn an eine Marokkanerin erinnert hat, mit der er geschlafen hat, als er siebzehn war.
    Davor hat er mit einer Frau geschlafen, die ihn an seine erste große Liebe erinnert hat. Damals war er neunzehn. Er sagt: »Schon seit einigen Jahren erinnert mich jede Frau, der ich begegne, an eine andere Frau, der ich früher begegnet bin. [33] Ich scheine sogar nach Frauen zu suchen, die mich an andere erinnern, die mir früher begegnet sind. Wenigstens fallen mir offensichtlich nur solche Frauen auf. Mittlerweile frage ich mich bei jeder Frau, die ich anziehend finde: Was ist das Vorbild? Was ist das Urbild?«
    Der Mann ist erst fünfundzwanzig Jahre alt, aber er ist es gewohnt, die Dinge zu durchdenken und Wörter wie »Urbild« zu benutzen. Er sagt: »Ich habe mit dreißig oder vierzig Frauen geschlafen. Doch tatsächlich gibt es nur fünf oder sechs Urbilder, fünf oder sechs Frauen, an die mich alle anderen erinnern, die ich treffe. Wenn mich eine Frau nicht interessiert, so wahrscheinlich deshalb, weil sie mich an niemanden erinnert. Wenn mich dagegen eine Frau interessiert, vermisse ich in ihr jene, an die sie mich erinnert, die sie aber nicht ist. Ich bin erst fünfundzwanzig Jahre alt. Doch tatsächlich bin ich schon alt. Ich habe meine Kapazität erschöpft.«
    Die Menschen, von denen in diesem Buch erzählt wird, haben viele Erinnerungen. Sie haben schon früh eine sexuelle und eine Liebesbiografie. Sie sind in jungen Jahren Greise.
    Ein Mann hat seinen Laptop dabei. Während er sich mit der Frau unterhält, die ihm seit einer Stunde in einem Café gegenübersitzt, sieht er immer wieder auf den Bildschirm. Sie erzählt von ihrer Kindheit in Hannover. Sie hört, wie der Zeigefinger seiner rechten Hand über das Touchpad gleitet. Das Café hat
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