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Das elektronische Glück

Titel: Das elektronische Glück
Autoren: dieverse Autoren
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die zärtliche Frauenstimme: »Erkennst du mich nicht?«
     »Nein.«
     »Was ist nur mit dir los, Nikolai? Warum erkennst du mich nicht? Ich bin Vera! Vera Wassiljewa!«
     Qualvoll strenge ich mein Gedächtnis an, ich versuche, mich an alle Menschen zu erinnern, die ich während der sieben Monate meines Aufenthaltes auf der Erde kennengelernt habe. Vera Wassiljewa? Nein, ich kann mich nicht erinnern.
     »Ich bin Vera! Vera!« sagt die Frauenstimme eindringlich. »Du kannst mich nicht vergessen haben, wir müssen uns unbedingt sehen. Warum schweigst du?«
     »Ich weiß nicht«, antworte ich unsicher. »Ich erinnere mich an alle meine Bekannten…«
     »Wir müssen uns sehen«, drängt die Frauenstimme. »Es muß sein. Ich bin hier in der Nähe. Komm herunter. Ich werde in der Hotelhalle am Zeitungskiosk auf dich warten.«
     »Gut, ich komme.«
     Ich lege den Schlafanzug ab und ziehe mir einen Anzug an. Meine Hände fliegen. Wozu habe ich dieses Versprechen nur gegeben? Aber irgendwann muß das ja geklärt werden. Offenbar habe ich einen Namensvetter, dessen Stimme der meinen ähnlich ist.
     Drei Minuten später bin ich unten in der Halle. Neben dem Zeitungskiosk steht ein Mädchen. Sie sieht mich lächelnd an.
     »Erkennst du mich jetzt?« fragt sie.
     »Nein.«
     »Ich kann mich in den anderthalb Jahren doch nicht so verändert haben. Du scherzt wohl, Nikolai?«
     »Nein, ich scherze nicht.«
     Jetzt fange ich schon an, mich zu wundern.
     »Ich heiße Nikolai Larionow.«
     »Ich weiß. Aber wenn du wirklich Nikolai Larionow bist, dann kannst du Vera nicht vergessen haben. Bist du gesund, mein Lieber?«
     Die Augen des unbekannten Mädchens schauen mich besorgt an. Angst und Hoffnung sind in ihnen zu lesen.
     »Wie ist denn das nur möglich? Es sind doch erst anderthalb Jahre vergangen, seit wir uns gesehen haben. Ich bin damals in die Antarktis geflogen, und du hast mich zum Flugplatz begleitet. Das ist vor anderthalb Jahren gewesen, aber du, Kolja, schaust mich an, als ob du mich zum ersten Male siehst.«
     »Zum ersten Male? So ist es auch. Vor anderthalb Jahren bin ich noch gar nicht hier gewesen.«
     »Aber wo warst du denn?«
     Ich fühle, daß ich um die Antwort nicht herumkomme, daß ich mich davor nicht werde drücken können. Vor diesem Mädchen kann ich die Wahrheit nicht verbergen.
     »Vor anderthalb Jahren war ich weit weg von hier.«
     »Wo?« fragt sie leise.
     »In der Gegend des Saturns«, antworte ich ebenso leise.
     Das Mädchen wird blaß. Ich weiß nicht, aus welchem Grunde. Aus ihrem Gesicht ist alle Farbe gewichen. Dann geht sie. Langsam und ohne sich umzusehen, so, als sei es rings um sie ganz dunkel geworden. Wahrscheinlich denkt sie, ich sei geistesgestört. Ich will und kann mich ihr gegenüber nicht näher erklären. Dafür ist die Zeit noch nicht gekommen. Wie gern würde ich ihr nachrufen: Komm zurück! Geh nicht fort! Das Wichtigste habe ich dir doch noch gar nicht gesagt…
     Aber nein, vom Wichtigsten darf keine Rede sein.
     Wieder in meinem Zimmer, gehe ich lange auf und ab. Also habe ich einen Doppelgänger. Schließlich hat das Mädchen nicht daran gezweifelt, daß sie mich kennt. Eine dumme Lage. Verteufelt dumm und idiotisch. Und ich kann mich mit niemandem beraten, außer mit Eroja.
     Ich nehme das Klümpchen Materie aus dem Futteral und frage: »Na, wie stehn die Dinge, Eroja?«
     »Deine Frage«, antwortet sie, »hat rein rhetorischen Charakter. Ich lebe nicht für Dinge, lebe nicht, um irgend etwas zu tun.«
     »Verzeih«, sage ich, »ich möchte mich mit dir beraten.«
     »Worüber?«
     »Eine dumme Geschichte. Ich habe eben mit einem irdischen Mädchen gesprochen, und sie behauptet, mich zu kennen.«
     »Scherzt sie?«
     »Nein, sie spricht im Ernst.«
     »Bring sie her. Ich erkläre ihr alles. Ich erzähle ihr von der Dilnea, wo du geboren bist. Mir wird sie hoffentlich glauben.«
     »Dir? Ja. Dir glaubt sie bestimmt.«

    5

    An der Wand hängt ein Anschlag. Er weist darauf hin, daß heute eine öffentliche Lektion gehalten wird über das Thema »Das denkende Wesen auf anderen Planeten«.
     Ich will dort hingehen. Warum? Etwa um den Lektor der Unkenntnis zu überführen? Nein. Ich möchte einfach die Phantasie mit der Wirklichkeit, die Erfindung mit den Tatsachen vergleichen. Und außerdem möchte ich das verführerische und starke Gefühl der Versuchung erleben, wogegen ich mit aller Willenskraft werde ankämpfen müssen. Plötzlich
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